„Normalerweise schaufeln wir um diese Zeit riesige Datenmengen durch unser Netz“

Corona versus Design

Wie spürt der vielfältige, kleinteilige Designbereich die unmittelbaren ersten Auswirkungen der Corona-Pandemie? Theresa Brüheim spricht mit Designer, Agenturinhaber und Präsident des Deutschen Designtages Boris Kochan.

 

Theresa Brüheim: Herr Kochan, Sie sind selbst Inhaber einer Marken- und Designagentur. Welche konkreten Auswirkungen hat die Corona-Pandemie?
Boris Kochan: In den letzten Tagen haben wir mitgefiebert, dass unser Kunde Studiosus seine 2.000 überall auf der Welt verteilten Studienreisenden wieder heil nach Hause zurückbringt … normalerweise schaufeln wir um diese Zeit bereits riesige Datenmengen durch unser Netz in der Münchner Hirschgartenallee, um nicht nur die neuen Titelseiten der Kataloge zu gestalten und zu produzieren. Doch natürlich ist nichts so wie sonst: Die touristischen Grundlagen für die im Sommer erscheinenden über 1.000 Seiten Fernreisen-Kataloge lassen sich aktuell nur schwer bestimmen – welches Hotel, welches Restaurant existiert z. B. in Indien im Herbst dieses Jahres noch, wie werden sich die Preise entwickeln? Wie weit können wir das Erscheinen der neuen Programme verzögern, um nicht nach der Krise ohne Produkt dazustehen … was unweigerlich die nächste, dann endgültig existenzielle Krise nach sich ziehen würde: Ohne buchbare Angebote kann niemand die nach Krisen schnell wiederauflebende Reiselust befriedigen. Nicht sehr viel anders sieht das in anderen Branchen aus. Wir erleben bei unseren Auftraggebern durchgehend eine große Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern und Kunden – fast alle haben ihre Tätigkeit weitestgehend ins Homeoffice verlegt. So auch wir: Alle Abläufe werden aktuell neu erprobt, vieles ist erst einmal sehr ungewohnt, langsamer. Zugleich gibt es eine riesige Solidarität unter den Menschen bei uns und mit den Mitarbeitern auf Auftraggeberseite und bei unseren Leistungspartnern, eine große Bereitschaft zum Verzicht und zur Einschränkung. Und zur Mitgestaltung. Strategische Beratung, das gemeinsame Drübernachdenken, wie sich Kommunikation verändern muss, sind jetzt die entscheidenden Themen in der Zusammenarbeit. Die konkrete Umsetzung muss zunächst warten, bis wir wieder alle etwas klarer sehen. So gibt es natürlich leider auch bei uns Kurzarbeit. Ob wir weitere Hilfen in Anspruch nehmen müssen, können wir derzeit noch nicht abschätzen.

 

Sie sind Präsident des Deutschen Designtages. Welche kurz- und mittelfristigen Folgen können Sie zum aktuellen Zeitpunkt für den gesamten Designbereich absehen?
Wir haben in diesen Tagen einen ersten Lagebericht zur Branche auf unserer Webseite designtag.org veröffentlicht. In Kürze erscheint ein dort abonnierbarer neuer Newsletter, der die beeindruckende Vielzahl von Initiativen in der Branche und die staatlichen Hilfsangebote dokumentiert sowie sich systematisch mit der Welt nach Corona – oder besser: einer Welt mit Corona – beschäftigt. Es ist absehbar, dass diese Krise massive wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen haben wird und damit die gesamte Designbranche umfassend betrifft und verändert. Design ist immer am Menschen orientiert, auf ihn bezogen und bezieht seine Bedeutung für die Wirtschaft aus der systematischen Adaption gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Designbranche ist gerade in ihrer kaum überblickbaren Diversität – sowohl was die Beschäftigungsformen betrifft wie auch die Aufsplitterung in kaum mehr überblickbare Teildisziplinen – schwer zu greifen. In dieser Vielfalt und Kleinteiligkeit, vom Solo-Selbständigen über den Minijobber zu den unzähligen Kleinstunternehmen, von der klassisch mittelständischen Struktur zu den in Unternehmen und Organisationen anderer Branchen Beschäftigten, liegt das besondere Potenzial, aber umgekehrt auch die besondere Anfälligkeit bei Krisen. Weil sich die Gesellschaft in nicht vorhersehbarer Geschwindigkeit verändern wird, wird sich auch diese Branche fundamental ändern … und es werden ganz viele auf der Strecke bleiben, wenn jetzt nicht massiv unterstützt wird.

 

Die Konsequenzen der Pandemie sind insbesondere für die zahlreichen Freiberuflerinnen und -berufler im Design weitreichend. Was kann jetzt für sie getan werden?
Die Maßnahmen der Bundesregierung und der Länder erscheinen uns als durchaus geeignet, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in einem ersten Schritt einzudämmen – wenn sie denn tatsächlich unbürokratisch und schnell zur Verfügung stehen. Darüber hinaus braucht es aber unbedingt strukturelle Förderungen, die den radikal-rasanten Umbruch in der Branche abfedern und damit das Potenzial erhalten: Eine zunehmend digitalisierte Gesellschaft braucht die Vermittlung und Übersetzung, braucht vertrauensbildende, am Menschen orientierte Schnittstellen, neudeutsch User Interfaces genannt. Der Deutsche Designtag wird zu den notwendigen Unterstützungen Vorschläge erarbeiten und auf die Politik und die Ministerien zugehen.

 

Was fordern Sie jetzt von der Politik?
Sosehr ich den Föderalismus als Idee schätze, so sehr ist er in einer solchen Krise kontraproduktiv – zumindest in der gelebten Form. Es ist hervorragend, wenn es die kleine Einheit gibt und regionale Besonderheiten berücksichtigt werden. Dies trägt entscheidend zur Identifikation mit den politischen Vertretern und den Institutionen bei. Jedoch: Die Unübersichtlichkeit der Maßnahmen und Förderungen ist eine Bankrotterklärung dieses gelebten Systems. Die notwendige Bürokratie droht sich mit sich selbst zu beschäftigen. Abhilfe schafft nicht die absolute Zentralisierung oder die eine starke Frau – oder das Alpha-Männchen –, es braucht nur endlich moderne Formen des Regierens, bei denen Beteiligung und Ausgleich föderalistisch systematisch gewollt sind. Und mit guter Technik bzw. Software und gutem Design wäre es sogar möglich, dass diese Abstimmungen deutlich schneller und effizienter vonstattengehen als heute.

 

Vielen Dank.

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.

Boris Kochan und Theresa Brüheim
Boris Kochan ist Präsident des Deutschen Designtages und Vizepräsident des Deutschen Kulturrates. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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