30. Juni 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

„NEUSTART KULTUR“ – tatsächlich ein kultureller Neubeginn?


Wie beurteilen die kulturpolitischen Sprecherinnen und Sprecher im Deutschen Bundestag das Kulturkonjunkturprogramm?

Diese Texte sind zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.

 

CDU/CSU

 

Wenn mir vor einem halben Jahr jemand vorausgesagt hätte, wir beschließen im Juli eine Milliarde Euro zusätzlich für die Kulturförderung, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Wenn mir damals jemand prophezeit hätte, dass diese eine Milliarde dennoch nicht von allen als ausreichend empfunden wird, ich hätte die Welt nicht mehr verstanden.

 

Diese eine Milliarde, die immerhin rund der Hälfte des regulären Kulturetats entspricht, ist ein großes und wichtiges Zeichen der Bundespolitik an Kunst und Kultur, an Künstlerinnen, Künstler und Kreative: Wir sehen Eure Sorgen, wir haben Eure unverschuldeten Nöte im Blick.

 

Die Corona-Pandemie hat den Kulturbereich hart getroffen. Die Lage für viele Kultur- und Medienschaffende und für die einzigartige Vielfalt der Kultur und Medien in Deutschland ist unverändert bedrohlich. Gerade für die Bühnenkünstler gilt „first in, last out“ beim pandemiebedingten Stillstand.

 

Mit dem Rettungs- und Zukunftspaket „NEUSTART KULTUR“ reagieren wir darauf. Staatsministerin Monika Grütters und wir, Parlamentarierinnen und Parlamentarier, haben dafür intensivst gekämpft.

 

Das Geld wird in den Erhalt der kulturellen Infrastruktur fließen. Es wird vielen Kultureinrichtungen eine Brücke bauen und die Zuversicht geben, trotz der massiven Corona-Folgen dauerhaft arbeiten zu können. Wir haben die begründete Hoffnung, dass die Kultureinrichtungen durch Aufträge möglichst viel von dem Geld an freischaffende Künstler und Soloselbständige weitergeben werden.

 

Die Corona-Pandemie ist eine nie dagewesene Situation. Daher kann keiner – weder BKM noch wir Mitglieder der Koalitionsfraktionen – derzeit genau wissen, wie groß der Unterstützungsbedarf in welchen kulturellen Sparten genau sein wird. Daher haben wir eine gegenseitige Deckungsfähigkeit der einzelnen Förderprogramme vereinbart: Wenn z. B. die Theater nicht alle vorgesehenen Mittel abrufen sollten, können diese etwa den Kinos zugutekommen.

 

Der Deutsche Kulturrat hat mit seiner frühzeitigen Forderung nach einem Kulturinfrastrukturfonds wichtige Impulse für die Entwicklung dieses Hilfsprogramms ohne Beispiel gegeben. Dafür und für seinen realistischen Blick, was der Staat in dieser Krise leisten kann und was nicht, möchte ich ihm herzlich danken.

 

Kunst und Kultur sind keine gesellschaftliche Insel. Daher ist es mir wichtig zu betonen, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft und die Kreativen nicht nur von der BKM-Milliarde profitieren, sondern auch von einer Reihe weiterer Maßnahmen der Regierungskoalition. Ich nenne nur die befristete Mehrwertsteuersenkung, die Überbrückungshilfen des Wirtschaftsministeriums für kleine und mittelständische Unternehmen oder die finanzielle Entlastung der Kommunen – die wichtigsten Kulturträger in unserem Land! – durch den Bund.

 

Gleichwohl sind wir nicht mit allem zufrieden. Das ungelöste Problem des „fiktiven Unternehmerlohns“ – ein Begriff, den ich nicht glücklich finde – ist auch für mich eine offene Wunde. Wir können die Lebenshaltungskosten von freischaffenden Musikern oder Schauspielern leider nicht anders als über die Grundsicherung abdecken, weil sonst Soloselbständige aus allen anderen Berufsfeldern ebenfalls einen Unternehmerlohn beantragen könnten.

 

In unserem föderalen Deutschland sind zuerst die Länder und Kommunen für die Förderung von Kunst und Kultur zuständig. Das hat unsere kulturelle Vielfalt über Jahrzehnte stets bereichert. Wir können sie auch heute nicht aus ihrer Verantwortung für die Rettung des Kulturbetriebs entlassen. Immerhin vier von 16 Bundesländern zahlen Kulturschaffenden auch einen Unternehmerlohn.

 

Sehr beeindruckt hat mich die vielfach gelebte Solidarität im Kulturbereich und die überbordende Kreativität im Umgang mit der Krise. Wenn es uns gelingt, diese zu erhalten, ist mir nicht bange für die Zukunft unserer so reichhaltigen Kulturlandschaft.

 

Elisabeth Motschmann MdB ist kultur- politische Sprecherin der Fraktion CDU/CSU im Deutschen Bundestag

 

SPD

 

Während ich diese Zeilen schreibe, befindet sich die sogenannte Kultur-Milliarde in der parlamentarischen Beratung. Entsprechend dem Struck’schen Gesetz, nach dem keine Vorlage in derselben Form das Parlament verlässt, wie es Eingang gefunden hat, ist die SPD-Bundestagsfraktion aktuell dabei, das seitens der BKM vorgestellte Kulturhilfeprogramm genau zu bewerten und um eigene sozialdemokratische Positionen zu ergänzen.

 

Der Kulturbereich ist seit Beginn der sogenannten Corona-Krise unmittelbar und stark betroffen und wird dies auf derzeit noch unabsehbare Zeit hin auch bleiben. Daher muss es, auch perspektivisch, eine möglichst umfassende Unterstützung für Kunst, Kultur und Medien geben. Unterstützung durch Zuschüsse einerseits und durch Hilfen für den Neustart des Kulturbetriebes andererseits.

 

Daher ist es auf jeden Fall gut und wichtig, dass jetzt mit der Kultur-Milliarde ein umfassendes Programm zur Stärkung der Kulturinfrastruktur kommt. Wir als SPD-Fraktion haben uns dafür stark gemacht. Wir haben im Mai ein Positionspapier verabschiedet, in dem wir nachhaltige Lösungen rund um die soziale Absicherung von Kultur- und Medienschaffenden, für Soforthilfen und Mittel zum Fortbestehen von Kultureinrichtungen vorgeschlagen haben.

 

Mit der Kultur-Milliarde können wir nun wichtige Impulse setzen. Die Förderung von Nothilfen und Mehrbedarfen ist der richtige Ansatz, um Kultureinrichtungen, Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen. Mit neuen digitalen Angeboten werden zukunftsweisende Akzente gesetzt. Darüber hinaus wird der Kultur- und Medienbereich auch von weiteren Maßnahmen des Konjunkturprogrammes profitieren. Beispielhaft seien hier die Senkung des Mehrwertsteuersatzes, der steuerliche Verlustvortrag und die finanzielle Überbrückungshilfe in Höhe von insgesamt 25 Milliarden Euro genannt. Die Verlängerung der vereinfachten Grundsicherung bis Ende September hilft Kultur- und Medienschaffenden, die durch die Folgen der Corona-Pandemie unverschuldet in Existenznot geraten sind. Und, die beschlossenen Entlastungen von Kommunen machen weiteren Spielraum in den Kulturhaushalten direkt vor Ort frei.

 

Durch die Corona-Pandemie werden jedoch gleichzeitig wie unter einem Brennglas auch strukturelle Probleme und Defizite deutlich sichtbar, die jetzt kulminieren, deren Ursprung jedoch in „Vor-Corona-Zeiten“ zu suchen ist. Es zeigt sich, wie fragil der Kulturbereich ist, wie wenig Reserven es gibt, wie schnell und umfassend er durch Krisen destabilisiert wird – und wie schnell Künstlerinnen, Künstler und Kulturschaffende in existenzielle Nöte geraten. Daher bedarf es über die verschiedenen Maßnahmen im Zuge der Corona-Krise hinaus nachhaltiger und struktureller Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Absicherung.

 

Und, es stellt sich die Frage nach der „kulturellen Grundversorgung“: Kultur ist mehr als Unterhaltung. Das Erleben von Kunst und Kultur ist elementares Bedürfnis des Menschen. Kultur ist ein Bindeglied zwischen verschiedenen sozialen Milieus, ermöglicht Teilhabe, stärkt den Dialog zwischen uns Menschen und fördert den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Daher müssen wir uns als Gesellschaft fragen, was zählen wir zur kulturellen Grundversorgung dazu und was soll sie uns zukünftig wert sein?

 

Wir bringen jetzt ein großes Konjunkturpaket auf den Weg. Nun geht es um eine Ausgestaltung der Kultur-Milliarde, die alle Kultur-Bereiche berücksichtigt und mit einbezieht. Welche Maßnahmen darüber hinaus notwendig sein werden, muss man im weiteren Verlauf sehen. Es gibt eben keine Blaupause für diese Situation – für keinen Bereich. Daher gilt es, die getroffenen Maßnahmen immer wieder zu evaluieren, zu prüfen und, wo nötig, nachzusteuern. Und, den Mut dabei – auf allen Seiten – nicht zu verlieren, denn der Weg ist richtig.

 

Martin Rabanus MdB ist kulturpolitischer Sprecher der Fraktion SPD im Deutschen Bundestag

 

AfD

 

Wegen der Corona-Pandemie hat die Bundesregierung die Schließung fast aller Kultureinrichtungen angeordnet, kulturelle Veranstaltungen fallen schon seit Monaten aus. Viele Künstler, Veranstalter und kreativ Tätige bangen zunehmend um ihre Existenz. Mit einem „Rettungs- und Zukunftsprogramm“, das auf eine Milliarde Euro budgetiert ist, soll nun ein „NEUSTART KULTUR“ gewährleistet werden. Ging es zunächst um Not- und Soforthilfe, soll dieses Programm nun die kulturelle Infrastruktur retten. In der Tat wäre es eine Katastrophe für die Kulturnation Deutschland, wenn diese Infrastruktur dauerhaften Schaden nähme. Dass jetzt dringend geholfen werden muss, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die weit überzogenen Maßnahmen der Regierung waren, die die Notlage erst herbeigeführt haben.

 

Schon das Maßnahmenpaket der Not- und Soforthilfe hat sich als zu wenig passförmig erwiesen, nicht zuletzt aufgrund eines „Förderflickenteppichs“, so der Deutsche Kulturrat, von Bund und Ländern. Die AfD-Bundestagsfraktion hat deshalb gefordert, die Hilfsleistungen über die Künstlersozialkasse (KSK) zu organisieren. Durch den Prüfungsablauf der KSK könnte auch einer missbräuchlichen Mittelverwendung oder Mitnahmeeffekten weitgehend vorgebeugt werden, wie sie etwa in Berlin im großen Stil zu beklagen waren. Die durch massenhaften Betrug entzogenen Gelder gingen für die wirklich bedürftigen Künstler verloren. Unser Antrag wurde von den anderen Bundestagsfraktionen, wie zu erwarten, abgelehnt.

 

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass kulturelle Einrichtungen, vor allem auch private, in der gegenwärtigen Notlage unterstützt werden, sind sie doch nicht selbstverschuldet in diese geraten, sondern von den Behörden quasi mit Berufsverbot belegt worden. Dasselbe gilt für die vielen Soloselbständigen in der Kulturszene, an denen die meiste Hilfe zunächst vorbeigegangen war. Die staatliche Hilfe darf aber nicht zum Dauerzustand werden, ihre Wirksamkeit und Notwendigkeit ist in regelmäßigen Abständen zu evaluieren. Mit Nachdruck wird sich die AfD gegen alle Versuche wenden, die Hilfen an bestimmte ideologische Auflagen wie Frauenquoten oder Diversity-Orientierung zu knüpfen, wie es SPD, Linkspartei und Grüne bereits gefordert haben.

 

Entgegen der Darstellung der Bundesregierung war es nicht das Coranavirus als solches, das zu einem Erliegen des Kulturlebens führte, sondern eine Entscheidung der Politik. Zunächst wurden viel zu lange gar keine Maßnahmen gegen die sich anbahnende Pandemie ergriffen, was den späteren Lockdown erst nötig machte. Mittlerweile wird dieser Zustand bereits viel zu lange aufrechterhalten. Der berechtigte Unmut der Kultur- und Kreativszene darüber artikuliert sich unter anderem unter dem Hashtag #firstoutlastin.

 

Ein wesentlicher Grund für die Zögerlichkeit der Regierung im Hinblick auf eine konsequente Exit-Strategie aus dem Corona-Regime liegt darin, dass die Corona-Maßnahmen an Fragen der Verantwortung, Haftung und des Schadensersatzes aufgehängt sind, wie sie im US-Rechtssystem schon länger dominant sind. Diese Entwicklung führt zu einer verfassungswidrigen Einschränkung unserer Grundrechte. Die Bundesregierung kommt mit dem Programm „NEUSTART KULTUR“ der Forderung nach einer Exit-Strategie jetzt zwar nach, die seitens der AfD-Bundestagsfraktion schon seit Wochen erhoben wird. Jeder Tag, an dem noch zugewartet werden muss, kostet aber Unsummen. Das beste Zukunftsprogramm für den Kulturbereich ist daher die raschestmögliche Öffnung der Bühnen und Veranstaltungsstätten, auf die die AfD weiterhin drängen wird.

 

Marc Jongen MdB ist kulturpolitischer Sprecher der Fraktion AfD im Deutschen Bundestag

 

FDP

 

Eine Milliarde Euro mehr für die Kultur, das sind 50 Prozent mehr bezogen auf den derzeitigen Kulturhaushalt des Bundes. Dies erfreut jeden Kulturpolitiker jeglicher politischen Schattierung. Chapeau! Ca. 500 Millionen Euro sind vorgesehen für die vielen kleineren und mittleren, privatwirtschaftlich finanzierten Kulturstätten und -projekte, die unsere bunte Kulturlandschaft so prägen. Das gefällt mir sehr gut. Gerade die privaten Einrichtungen sind durch den kompletten Wegfall ihrer Einnahmen besonders hart von der Corona-Pandemie getroffen.

 

Nicht überzeugt bin ich von der mit einem Viertel der Milliarde Euro geplanten Unterstützung von Investitionsmaßnahmen in Hygeniekonzepte, Online-Ticketing-Systeme und der Modernisierung von Belüftungssystemen. Analog der Pawlow’schen Bedürfnispyramide essen die Künstler und Kreativen in der Not das Brot auch ohne Butter und Käse. Diese 250 Millionen Euro fehlen an einer echten Nothilfe. Dies auch bitte nicht falsch verstehen: Die Modernisierung der Infrastruktur von Kinos, Theatern und Konzerthäusern ist dringend geboten und sollte mit einer ausreichenden Summe in den ordentlichen Kulturhaushalt des Bundes und der Länder aufgenommen werden.

 

Leider lassen die spärlichen Informationen der Bundesregierung bisher nicht nur vieles im Unklaren, sondern es wirkt, als ob auch weiterhin dringende Probleme nicht gelöst werden. Erneut erhalten die zahlreichen Soloselbständigen keine zielgerichtete Unterstützung. Schon die Soforthilfe, die nur für Betriebskosten, nicht aber für Lebenshaltungskosten genutzt werden durfte, verfehlte für diese wichtige Gruppe komplett ihr Ziel. Soloselbständige haben keine Betriebskosten. Ihr Anlagevermögen ist ihre Stimme, ihre Fertigkeiten als Schauspieler oder ihr Können am Instrument. Diese drastische Gerechtigkeitslücke wurde vor einigen Wochen zwar ausführlich im Kulturausschuss des Bundestages thematisiert, scheint aber von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien auch diesmal nicht ansatzweise behoben worden zu sein.

 

Weiterhin unklar sind zum heutigen Stand die detaillierten Vergabekriterien. Ebenso unklar ist, wer genau die Hilfsgelder verwalten und verteilen soll. Anscheinend sollen dies die Bundesverbände der Kultureinrichtungen selber vornehmen. Das gibt ein Hauen und Stechen. Mir graut es schon vor einem weiteren Bürokratiemonstrum, in welchem die gut gemeinten Konjunkturhilfen versickern. Die Corona-Pandemie trifft alle gleichermaßen. Hier einmal wäre das Gießkannenprinzip tatsächlich angebracht. Warum koppelt man die Hilfe für einzelne Kultureinrichtungen nicht einfach an den Jahresumsatz aus 2019 und schüttet einen Prozentsatz davon einfach über das zuständige Finanzamt aus. Alle Umsatzsteuervoranmeldungen für 2019 sind bereits abgegeben, Steuernummern und Bankverbindungen bekannt, und da Ende 2019 keiner mit dieser Katastrophe rechnen konnte, ist ein Missbrauch von Fördergeldern nahezu ausgeschlossen. Dieses Vorgehen ist schnell und unkompliziert. Die Mittel stünden den Betroffenen umgehend zur Verfügung. Das Entwerfen von diversen unterschiedlichen Antragsformularen entfällt, ebenso die immer ungerechte Lösung des sogenannten Windhundverfahrens. Nicht immer ist der Schnellste auch der, der am meisten Hilfe benötigt. Und wer soll und will bei begrenzten Mitteln entscheiden, wer etwas bekommen soll?

 

Mit Bestürzung habe ich wahrgenommen, dass keinerlei Mittel für den enorm wichtigen Teilbereich der kulturellen Bildung vorgesehen sind. Der überwiegende Teil dieser gemeinnützigen Einrichtungen wird nicht institutionell, sondern über Projektmittel gefördert und ist daher existenziell auf laufende Einnahmen angewiesen. Es kann nicht im Sinne einer zukunftsorientierten Kulturpolitik sein, die junge Generation, die den Großteil der Corona-Hilfen zurückzuzahlen hat, hier so sträflich zu vernachlässigen. Hier gilt es, z. B. den Fonds Soziokultur gezielt zu stärken und darüber die Unterstützung der kulturellen Bildung zu gewährleisten.

 

Hartmut Ebbing MdB ist kulturpolitischer Sprecher der Fraktion FPD im Deutschen Bundestag

 

Die Linke

 

Bemerkenswert: Nun endlich ist Kultur maßgeblich in einem Konjunkturpaket enthalten. Seit drei Monaten redet die deutsche Öffentlichkeit, reden die Verbände, reden die Fraktionen im Bundestag und den Landesparlamenten über die existenzielle und existenzbedrohende Krise der Kulturbranche. Die Linke spricht das Problem allerdings seit Jahren an. Dass Kultur- und Kreativschaffende, dass die kulturelle Infrastruktur durch die coronabedingten Maßnahmen sofort und unmittelbar in Not geriet, war vorhersehbar. Die Probleme sind durch die Politik hervorgerufen. Wir müssen also nicht nur darüber reden, was ist, wir müssen auch darüber sprechen, wie es dazu kommen konnte, dass eine ganze Branche auf tönernen Füßen stand und immer noch steht. Nur wenn wir uns der Versäumnisse bewusst sind, können wir für die Zukunft Konzepte finden, die die Kreativbranche stärken und ihr den Immunschutz geben, den sie braucht.

 

Eine Milliarde zum Erhalt der kulturellen Infrastruktur, das ist mehr, als zu erwarten war. Die Frage, wer das Geld an wen unter welchen Bedingungen verteilt, ist noch offen. Die Verbände sollen mitbestimmen. Das ist gut. Wir werden darauf dringen, dass auch die Subkultur, die Soziokultur, dass insbesondere die Freie Szene davon profitiert.

 

Die individuelle Existenznot der Kreativen –wer nicht mehr am Wettbewerb um Publikum, Aufmerksamkeit und Fördergelder teilnehmen konnte, verlor Einkommen und Auskommen – ist nun zur Existenznot aller Kreativen geworden. Und zur Not der Technikerinnen und Roadies, der Veranstaltungsgastronomie und so weiter und so fort. Wer Kunst und Kultur als Beruf gewählt hat, musste immer schon wasserfest sein, er wurde oftmals im Regen stehen gelassen. Es ist die Aufgabe der Politik und unser aller Aufgabe, endlich für Regenschirme zu sorgen und danach für ein dauerhaftes Dach über dem Kopf. Kultur gehört als Pflichtaufgabe ins Grundgesetz. Aus dem Kooperationsverbot muss ein Kooperationsgebot werden.

 

Im Konjunkturpaket der Bundesregierung fehlt immer noch eine Lösung für Soloselbständige, in jedem Bundesland gelten andere Regeln, das ist mehr als nur eine Leerstelle. Die Kulturförderung vor der Krise hat die Selbstausbeutung der Akteure immer billigend in Kauf genommen. Angemessene Gagen und Honorare, soziale Sicherheit, Planungssicherheit, ja selbst die Verpflichtung von Kommunen und Gemeinden, für künstlerische Leistungen angemessene Honorare zu zahlen: Zu oft waren das nichts als fromme Wünsche. Von Gleichstellung und Diversität ganz zu schweigen.

 

Wer Kunst macht und von ihr leben will, darf es sich nicht leisten können müssen. Wer vielfältige Kultur will, muss blechen, sonst gibt es nur Blech! In die Strukturen muss investiert werden, in langfristige Konzepte, in Absicherung. Künstlerinnen in Armut ist ein pittoreskes Bild für Gemäldeausstellungen, nicht ein Vorbild für die Lebenswirklichkeit von Kreativen.

 

In der durch die Corona-Pandemie verursachten Krise liegt eine Chance. Die Kulturmilliarde kann geeignet sein, die kulturelle Infrastruktur wesentlich zu verbessern. Aber dann muss es den Willen geben zu verändern.

 

Lassen Sie uns gemeinsam kämpfen für Kultur als Aufgabe mit Verfassungsrang. Und für ein Kooperationsgebot. Die Verbände legen seit Jahren Vorschläge auf den Tisch. Sie reichen vom Kulturgroschen bis zum Grundeinkommen, von Kulturgenossenschaften bis zu Kulturschutzgebieten, von Kunst am Bau bis zur Aufnahme von Schriftstellerinnen-Lesungen in die Curricula. Lassen Sie uns mehr Kultur wagen.

 

Simone Barrientos MdB ist kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag

 

Bündnis 90/Die Grünen

 

„Kulturmilliarde“, das klingt gut, klingt üppig. Tatsächlich umfasst die „Kulturmilliarde“ nur 1/130tel des Konjunkturpakets. Der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Kultur- und Kreativszene mit jährlich 100 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung entspricht das bei Weitem nicht.

Mit 250 Millionen Euro will die Bundesregierung Kultureinrichtungen für die Wiederöffnung fit machen. 450 Millionen Euro sollen in Erhaltung und Stärkung der Kulturinfrastruktur gehen, wobei die Mittel nach nicht nachvollziehbaren Kriterien auf Sparten aufgeteilt sind. Geld gibt es als Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen –wie Clubs, Träger von Jugendeinrichtungen, Unternehmen der Veranstaltungslogistik. Dabei werden viele Kultureinrichtungen, etwa Kinos und Theater, aufgrund der erforderlichen Abstandsregeln lang nicht die frühere Auslastung erreichen. Für andere, wie Clubs, wo Nähe unvermeidbar ist, ist fraglich, ob sie jetzt überhaupt wieder öffnen können. Zudem laufen Überbrückungshilfen nur bis Ende August. Angesichts der zu erwartenden langfristigen Ausfälle ist die „Kulturmilliarde“ dann doch eher mager.

 

Die Kultur- und Kreativwirtschaft weist einen überdurchschnittlich hohen Anteil an (Solo)Selbständigen auf. Und gerade hier zeigt das Hilfsprogramm eklatante Gerechtigkeitslücken. Es unterstützt in erster Linie Einrichtungen. Sie sollen fit werden und wieder freie Kulturschaffende engagieren, so die Rechnung der Kulturstaatsministerin. Doch das reicht nicht aus. Nicht nur, weil das Auftragsvolumen wohl kaum den Stand von Vor-Corona-Zeiten erreichen wird.

 

Der Fehler liegt in der Trennung von Betriebs- und Lebenshaltungskosten. Für förderungsberechtigte Unternehmen ist ein Zuschuss zu betrieblichen Fixkosten möglich. Für ihren Lebensunterhalt werden Selbständige und Freiberufler auf die Grundsicherung verwiesen. Doch sind sie nicht arbeitssuchend, sondern können nur kein Einkommen generieren, weil sie ihrer Arbeit derzeit nicht nachgehen dürfen. Anders als angekündigt, sieht auch der vereinfachte Zugang zur Grundsicherung eine Vermögensprüfung vor. Sie kommt bei Altersrücklagen ab 60.000 Euro zum Tragen. Wer also für die Zukunft etwas zurückgelegt hat, um Rentenausfallzeiten zu überbrücken, wird so bestraft. Schließlich schränken bürokratische Hürden die unternehmerische Tätigkeit der Kulturschaffenden ein. Und dann ist auch noch unklar, wie ausstehende Honorare oder Einnahmen aus Verwertungsgesellschaften angerechnet werden sollen.

 

Das Modell des „fiktiven Unternehmerlohns“ dagegen, wie es Baden-Württemberg vormacht, bietet genau die unbürokratische Unterstützung, die jetzt gebraucht wird, und entlastet zudem die ohnehin klammen Kommunen. Wenn man nicht die Prekarität, sondern die Kreativität von Künstlerinnen und Künstlern fördern will, muss man diese Gerechtigkeitslücke schließen.

 

Bereits jetzt werden viele Hilfen nicht in Anspruch genommen, weil unklar ist, was kombinierbar ist, ab wann eine Überzahlung erfolgt ist und in welcher zeitlichen Abfolge die Programme wirken sollen. Damit sie wirken, muss aber klar sein, ob ihre Inanspruchnahme letztlich auf die Anhäufung von Schulden in der Zukunft hinausläuft.

 

Gut investiert ist die „Kulturmilliarde“ dann, wenn sie ankommt – am besten, wie von der grünen Bundestagsfraktion vorgeschlagen – mithilfe einer zentralen Anlaufstelle, die Informationen für die Betroffenen niedrigschwellig bereitstellt. Wichtig ist es auch, ehrlich zu evaluieren und zügig nachzubessern.

 

Kunst und Kultur sind unverzichtbar für eine liberale Demokratie. Gerade ihre Freiheit, gegebenenfalls die fördernde Hand zu beißen, macht Kunst unverzichtbar für die offene Gesellschaft und uns alle. Bei der „Kulturmilliarde“ darf es daher getrost nicht nur etwas mehr sein.

 

Erhard Grundl MdB ist kulturpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag


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