„NEUSTART KULTUR“ – tatsächlich ein kultureller Neubeginn?

Wie beurteilen die kulturpolitischen Sprecherinnen und Sprecher im Deutschen Bundestag das Kulturkonjunkturprogramm?

 

Die Linke

 

Bemerkenswert: Nun endlich ist Kultur maßgeblich in einem Konjunkturpaket enthalten. Seit drei Monaten redet die deutsche Öffentlichkeit, reden die Verbände, reden die Fraktionen im Bundestag und den Landesparlamenten über die existenzielle und existenzbedrohende Krise der Kulturbranche. Die Linke spricht das Problem allerdings seit Jahren an. Dass Kultur- und Kreativschaffende, dass die kulturelle Infrastruktur durch die coronabedingten Maßnahmen sofort und unmittelbar in Not geriet, war vorhersehbar. Die Probleme sind durch die Politik hervorgerufen. Wir müssen also nicht nur darüber reden, was ist, wir müssen auch darüber sprechen, wie es dazu kommen konnte, dass eine ganze Branche auf tönernen Füßen stand und immer noch steht. Nur wenn wir uns der Versäumnisse bewusst sind, können wir für die Zukunft Konzepte finden, die die Kreativbranche stärken und ihr den Immunschutz geben, den sie braucht.

 

Eine Milliarde zum Erhalt der kulturellen Infrastruktur, das ist mehr, als zu erwarten war. Die Frage, wer das Geld an wen unter welchen Bedingungen verteilt, ist noch offen. Die Verbände sollen mitbestimmen. Das ist gut. Wir werden darauf dringen, dass auch die Subkultur, die Soziokultur, dass insbesondere die Freie Szene davon profitiert.

 

Die individuelle Existenznot der Kreativen –wer nicht mehr am Wettbewerb um Publikum, Aufmerksamkeit und Fördergelder teilnehmen konnte, verlor Einkommen und Auskommen – ist nun zur Existenznot aller Kreativen geworden. Und zur Not der Technikerinnen und Roadies, der Veranstaltungsgastronomie und so weiter und so fort. Wer Kunst und Kultur als Beruf gewählt hat, musste immer schon wasserfest sein, er wurde oftmals im Regen stehen gelassen. Es ist die Aufgabe der Politik und unser aller Aufgabe, endlich für Regenschirme zu sorgen und danach für ein dauerhaftes Dach über dem Kopf. Kultur gehört als Pflichtaufgabe ins Grundgesetz. Aus dem Kooperationsverbot muss ein Kooperationsgebot werden.

 

Im Konjunkturpaket der Bundesregierung fehlt immer noch eine Lösung für Soloselbständige, in jedem Bundesland gelten andere Regeln, das ist mehr als nur eine Leerstelle. Die Kulturförderung vor der Krise hat die Selbstausbeutung der Akteure immer billigend in Kauf genommen. Angemessene Gagen und Honorare, soziale Sicherheit, Planungssicherheit, ja selbst die Verpflichtung von Kommunen und Gemeinden, für künstlerische Leistungen angemessene Honorare zu zahlen: Zu oft waren das nichts als fromme Wünsche. Von Gleichstellung und Diversität ganz zu schweigen.

 

Wer Kunst macht und von ihr leben will, darf es sich nicht leisten können müssen. Wer vielfältige Kultur will, muss blechen, sonst gibt es nur Blech! In die Strukturen muss investiert werden, in langfristige Konzepte, in Absicherung. Künstlerinnen in Armut ist ein pittoreskes Bild für Gemäldeausstellungen, nicht ein Vorbild für die Lebenswirklichkeit von Kreativen.

 

In der durch die Corona-Pandemie verursachten Krise liegt eine Chance. Die Kulturmilliarde kann geeignet sein, die kulturelle Infrastruktur wesentlich zu verbessern. Aber dann muss es den Willen geben zu verändern.

 

Lassen Sie uns gemeinsam kämpfen für Kultur als Aufgabe mit Verfassungsrang. Und für ein Kooperationsgebot. Die Verbände legen seit Jahren Vorschläge auf den Tisch. Sie reichen vom Kulturgroschen bis zum Grundeinkommen, von Kulturgenossenschaften bis zu Kulturschutzgebieten, von Kunst am Bau bis zur Aufnahme von Schriftstellerinnen-Lesungen in die Curricula. Lassen Sie uns mehr Kultur wagen.

 

Simone Barrientos MdB ist kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag

 

Bündnis 90/Die Grünen

 

„Kulturmilliarde“, das klingt gut, klingt üppig. Tatsächlich umfasst die „Kulturmilliarde“ nur 1/130tel des Konjunkturpakets. Der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Kultur- und Kreativszene mit jährlich 100 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung entspricht das bei Weitem nicht.

Mit 250 Millionen Euro will die Bundesregierung Kultureinrichtungen für die Wiederöffnung fit machen. 450 Millionen Euro sollen in Erhaltung und Stärkung der Kulturinfrastruktur gehen, wobei die Mittel nach nicht nachvollziehbaren Kriterien auf Sparten aufgeteilt sind. Geld gibt es als Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen –wie Clubs, Träger von Jugendeinrichtungen, Unternehmen der Veranstaltungslogistik. Dabei werden viele Kultureinrichtungen, etwa Kinos und Theater, aufgrund der erforderlichen Abstandsregeln lang nicht die frühere Auslastung erreichen. Für andere, wie Clubs, wo Nähe unvermeidbar ist, ist fraglich, ob sie jetzt überhaupt wieder öffnen können. Zudem laufen Überbrückungshilfen nur bis Ende August. Angesichts der zu erwartenden langfristigen Ausfälle ist die „Kulturmilliarde“ dann doch eher mager.

 

Die Kultur- und Kreativwirtschaft weist einen überdurchschnittlich hohen Anteil an (Solo)Selbständigen auf. Und gerade hier zeigt das Hilfsprogramm eklatante Gerechtigkeitslücken. Es unterstützt in erster Linie Einrichtungen. Sie sollen fit werden und wieder freie Kulturschaffende engagieren, so die Rechnung der Kulturstaatsministerin. Doch das reicht nicht aus. Nicht nur, weil das Auftragsvolumen wohl kaum den Stand von Vor-Corona-Zeiten erreichen wird.

 

Der Fehler liegt in der Trennung von Betriebs- und Lebenshaltungskosten. Für förderungsberechtigte Unternehmen ist ein Zuschuss zu betrieblichen Fixkosten möglich. Für ihren Lebensunterhalt werden Selbständige und Freiberufler auf die Grundsicherung verwiesen. Doch sind sie nicht arbeitssuchend, sondern können nur kein Einkommen generieren, weil sie ihrer Arbeit derzeit nicht nachgehen dürfen. Anders als angekündigt, sieht auch der vereinfachte Zugang zur Grundsicherung eine Vermögensprüfung vor. Sie kommt bei Altersrücklagen ab 60.000 Euro zum Tragen. Wer also für die Zukunft etwas zurückgelegt hat, um Rentenausfallzeiten zu überbrücken, wird so bestraft. Schließlich schränken bürokratische Hürden die unternehmerische Tätigkeit der Kulturschaffenden ein. Und dann ist auch noch unklar, wie ausstehende Honorare oder Einnahmen aus Verwertungsgesellschaften angerechnet werden sollen.

 

Das Modell des „fiktiven Unternehmerlohns“ dagegen, wie es Baden-Württemberg vormacht, bietet genau die unbürokratische Unterstützung, die jetzt gebraucht wird, und entlastet zudem die ohnehin klammen Kommunen. Wenn man nicht die Prekarität, sondern die Kreativität von Künstlerinnen und Künstlern fördern will, muss man diese Gerechtigkeitslücke schließen.

 

Bereits jetzt werden viele Hilfen nicht in Anspruch genommen, weil unklar ist, was kombinierbar ist, ab wann eine Überzahlung erfolgt ist und in welcher zeitlichen Abfolge die Programme wirken sollen. Damit sie wirken, muss aber klar sein, ob ihre Inanspruchnahme letztlich auf die Anhäufung von Schulden in der Zukunft hinausläuft.

 

Gut investiert ist die „Kulturmilliarde“ dann, wenn sie ankommt – am besten, wie von der grünen Bundestagsfraktion vorgeschlagen – mithilfe einer zentralen Anlaufstelle, die Informationen für die Betroffenen niedrigschwellig bereitstellt. Wichtig ist es auch, ehrlich zu evaluieren und zügig nachzubessern.

 

Kunst und Kultur sind unverzichtbar für eine liberale Demokratie. Gerade ihre Freiheit, gegebenenfalls die fördernde Hand zu beißen, macht Kunst unverzichtbar für die offene Gesellschaft und uns alle. Bei der „Kulturmilliarde“ darf es daher getrost nicht nur etwas mehr sein.

 

Erhard Grundl MdB ist kulturpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag

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