„NEUSTART KULTUR“ – tatsächlich ein kultureller Neubeginn?

Wie beurteilen die kulturpolitischen Sprecherinnen und Sprecher im Deutschen Bundestag das Kulturkonjunkturprogramm?

Diese Texte sind zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.

 

CDU/CSU

 

Wenn mir vor einem halben Jahr jemand vorausgesagt hätte, wir beschließen im Juli eine Milliarde Euro zusätzlich für die Kulturförderung, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Wenn mir damals jemand prophezeit hätte, dass diese eine Milliarde dennoch nicht von allen als ausreichend empfunden wird, ich hätte die Welt nicht mehr verstanden.

 

Diese eine Milliarde, die immerhin rund der Hälfte des regulären Kulturetats entspricht, ist ein großes und wichtiges Zeichen der Bundespolitik an Kunst und Kultur, an Künstlerinnen, Künstler und Kreative: Wir sehen Eure Sorgen, wir haben Eure unverschuldeten Nöte im Blick.

 

Die Corona-Pandemie hat den Kulturbereich hart getroffen. Die Lage für viele Kultur- und Medienschaffende und für die einzigartige Vielfalt der Kultur und Medien in Deutschland ist unverändert bedrohlich. Gerade für die Bühnenkünstler gilt „first in, last out“ beim pandemiebedingten Stillstand.

 

Mit dem Rettungs- und Zukunftspaket „NEUSTART KULTUR“ reagieren wir darauf. Staatsministerin Monika Grütters und wir, Parlamentarierinnen und Parlamentarier, haben dafür intensivst gekämpft.

 

Das Geld wird in den Erhalt der kulturellen Infrastruktur fließen. Es wird vielen Kultureinrichtungen eine Brücke bauen und die Zuversicht geben, trotz der massiven Corona-Folgen dauerhaft arbeiten zu können. Wir haben die begründete Hoffnung, dass die Kultureinrichtungen durch Aufträge möglichst viel von dem Geld an freischaffende Künstler und Soloselbständige weitergeben werden.

 

Die Corona-Pandemie ist eine nie dagewesene Situation. Daher kann keiner – weder BKM noch wir Mitglieder der Koalitionsfraktionen – derzeit genau wissen, wie groß der Unterstützungsbedarf in welchen kulturellen Sparten genau sein wird. Daher haben wir eine gegenseitige Deckungsfähigkeit der einzelnen Förderprogramme vereinbart: Wenn z. B. die Theater nicht alle vorgesehenen Mittel abrufen sollten, können diese etwa den Kinos zugutekommen.

 

Der Deutsche Kulturrat hat mit seiner frühzeitigen Forderung nach einem Kulturinfrastrukturfonds wichtige Impulse für die Entwicklung dieses Hilfsprogramms ohne Beispiel gegeben. Dafür und für seinen realistischen Blick, was der Staat in dieser Krise leisten kann und was nicht, möchte ich ihm herzlich danken.

 

Kunst und Kultur sind keine gesellschaftliche Insel. Daher ist es mir wichtig zu betonen, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft und die Kreativen nicht nur von der BKM-Milliarde profitieren, sondern auch von einer Reihe weiterer Maßnahmen der Regierungskoalition. Ich nenne nur die befristete Mehrwertsteuersenkung, die Überbrückungshilfen des Wirtschaftsministeriums für kleine und mittelständische Unternehmen oder die finanzielle Entlastung der Kommunen – die wichtigsten Kulturträger in unserem Land! – durch den Bund.

 

Gleichwohl sind wir nicht mit allem zufrieden. Das ungelöste Problem des „fiktiven Unternehmerlohns“ – ein Begriff, den ich nicht glücklich finde – ist auch für mich eine offene Wunde. Wir können die Lebenshaltungskosten von freischaffenden Musikern oder Schauspielern leider nicht anders als über die Grundsicherung abdecken, weil sonst Soloselbständige aus allen anderen Berufsfeldern ebenfalls einen Unternehmerlohn beantragen könnten.

 

In unserem föderalen Deutschland sind zuerst die Länder und Kommunen für die Förderung von Kunst und Kultur zuständig. Das hat unsere kulturelle Vielfalt über Jahrzehnte stets bereichert. Wir können sie auch heute nicht aus ihrer Verantwortung für die Rettung des Kulturbetriebs entlassen. Immerhin vier von 16 Bundesländern zahlen Kulturschaffenden auch einen Unternehmerlohn.

 

Sehr beeindruckt hat mich die vielfach gelebte Solidarität im Kulturbereich und die überbordende Kreativität im Umgang mit der Krise. Wenn es uns gelingt, diese zu erhalten, ist mir nicht bange für die Zukunft unserer so reichhaltigen Kulturlandschaft.

 

Elisabeth Motschmann MdB ist kultur- politische Sprecherin der Fraktion CDU/CSU im Deutschen Bundestag

 

SPD

 

Während ich diese Zeilen schreibe, befindet sich die sogenannte Kultur-Milliarde in der parlamentarischen Beratung. Entsprechend dem Struck’schen Gesetz, nach dem keine Vorlage in derselben Form das Parlament verlässt, wie es Eingang gefunden hat, ist die SPD-Bundestagsfraktion aktuell dabei, das seitens der BKM vorgestellte Kulturhilfeprogramm genau zu bewerten und um eigene sozialdemokratische Positionen zu ergänzen.

 

Der Kulturbereich ist seit Beginn der sogenannten Corona-Krise unmittelbar und stark betroffen und wird dies auf derzeit noch unabsehbare Zeit hin auch bleiben. Daher muss es, auch perspektivisch, eine möglichst umfassende Unterstützung für Kunst, Kultur und Medien geben. Unterstützung durch Zuschüsse einerseits und durch Hilfen für den Neustart des Kulturbetriebes andererseits.

 

Daher ist es auf jeden Fall gut und wichtig, dass jetzt mit der Kultur-Milliarde ein umfassendes Programm zur Stärkung der Kulturinfrastruktur kommt. Wir als SPD-Fraktion haben uns dafür stark gemacht. Wir haben im Mai ein Positionspapier verabschiedet, in dem wir nachhaltige Lösungen rund um die soziale Absicherung von Kultur- und Medienschaffenden, für Soforthilfen und Mittel zum Fortbestehen von Kultureinrichtungen vorgeschlagen haben.

 

Mit der Kultur-Milliarde können wir nun wichtige Impulse setzen. Die Förderung von Nothilfen und Mehrbedarfen ist der richtige Ansatz, um Kultureinrichtungen, Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen. Mit neuen digitalen Angeboten werden zukunftsweisende Akzente gesetzt. Darüber hinaus wird der Kultur- und Medienbereich auch von weiteren Maßnahmen des Konjunkturprogrammes profitieren. Beispielhaft seien hier die Senkung des Mehrwertsteuersatzes, der steuerliche Verlustvortrag und die finanzielle Überbrückungshilfe in Höhe von insgesamt 25 Milliarden Euro genannt. Die Verlängerung der vereinfachten Grundsicherung bis Ende September hilft Kultur- und Medienschaffenden, die durch die Folgen der Corona-Pandemie unverschuldet in Existenznot geraten sind. Und, die beschlossenen Entlastungen von Kommunen machen weiteren Spielraum in den Kulturhaushalten direkt vor Ort frei.

 

Durch die Corona-Pandemie werden jedoch gleichzeitig wie unter einem Brennglas auch strukturelle Probleme und Defizite deutlich sichtbar, die jetzt kulminieren, deren Ursprung jedoch in „Vor-Corona-Zeiten“ zu suchen ist. Es zeigt sich, wie fragil der Kulturbereich ist, wie wenig Reserven es gibt, wie schnell und umfassend er durch Krisen destabilisiert wird – und wie schnell Künstlerinnen, Künstler und Kulturschaffende in existenzielle Nöte geraten. Daher bedarf es über die verschiedenen Maßnahmen im Zuge der Corona-Krise hinaus nachhaltiger und struktureller Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Absicherung.

 

Und, es stellt sich die Frage nach der „kulturellen Grundversorgung“: Kultur ist mehr als Unterhaltung. Das Erleben von Kunst und Kultur ist elementares Bedürfnis des Menschen. Kultur ist ein Bindeglied zwischen verschiedenen sozialen Milieus, ermöglicht Teilhabe, stärkt den Dialog zwischen uns Menschen und fördert den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Daher müssen wir uns als Gesellschaft fragen, was zählen wir zur kulturellen Grundversorgung dazu und was soll sie uns zukünftig wert sein?

 

Wir bringen jetzt ein großes Konjunkturpaket auf den Weg. Nun geht es um eine Ausgestaltung der Kultur-Milliarde, die alle Kultur-Bereiche berücksichtigt und mit einbezieht. Welche Maßnahmen darüber hinaus notwendig sein werden, muss man im weiteren Verlauf sehen. Es gibt eben keine Blaupause für diese Situation – für keinen Bereich. Daher gilt es, die getroffenen Maßnahmen immer wieder zu evaluieren, zu prüfen und, wo nötig, nachzusteuern. Und, den Mut dabei – auf allen Seiten – nicht zu verlieren, denn der Weg ist richtig.

 

Martin Rabanus MdB ist kulturpolitischer Sprecher der Fraktion SPD im Deutschen Bundestag

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