Mut zur Zukunft

Die Kultur in der Coronakrise

Mit Kritik hat der Kulturrat NRW die Phase begleitet, in der die Bundesländer und der Bund die Verantwortung auf die jeweils andere Seite abschieben wollten. Beide sind gefordert. Sie müssen sich abstimmen und kooperieren. Kulturministerinnen und Kulturminister der Länder sollten auch zu Entscheidungen ihrer Landesregierungen stehen. Manche tun gerade so, als seien sie in der Opposition.

 

Wir haben die Landesregierung in NRW bewegen können, das Stipendienprogramm mit 100 Millionen Euro – etwa 14.500 Künstlerinnen und Künstler erhielten schnell und unbürokratisch 7.000 Euro – und das Stärkungsprogramm für kulturelle Einrichtungen mit 85 Millionen Euro zu beschließen. Der normale Kulturhaushalt NRW ist in den letzten drei Jahren von 200 Millionen auf ca. 315 Millionen im nächsten Jahr angestiegen. Die Corona-Hilfen umfassen bis jetzt 220 Millionen, nicht gerechnet die umfangreichen Hilfen für den Kultursektor durch andere Ministerien, unter anderem durch das Wirtschaftsministerium.

 

Mit großer Sorge erfüllt mich die künftige Kulturfinanzierung durch die Kommunen, die in NRW ca. 80 Prozent der Gesamtförderung verantworten. Wenn sie nicht durch Bund und Länder weiter entlastet werden, wird die Kulturförderung leiden.

 

Corona hat Schwächen in unserem Sozialsystem sichtbar gemacht, die vorher nicht erkannt wurden. Ich meine die unzureichende soziale Absicherung der Selbständigen, also auch der Künstlerinnen und Künstler. Dem suchte die Politik auch durch Öffnung der Arbeitslosenversicherung gerecht zu werden. Doch diese war auf die künstlerspezifische Situation nicht eingestellt, trotz laufender Verbesserung der Zugangsbedingungen. Aber wir werden auf diese Hilfe nicht verzichten können. Diskutiert wird jetzt ein Bürgergeld für alle Soloselbständigen im Rahmen der Arbeitslosenversicherung. Die Künstlersozialversicherung, die in diesem Zusammenhang ebenfalls ins Gespräch gebracht wurde, ist dafür nicht das richtige Instrument.

 

Die Rolle der Verbände

 

Ohne das Drängen und ohne den kulturpolitischen Sachverstand der Verbände aller Sparten der Kultur wären diese Hilfsprogramme, jedenfalls in dieser Form und in dieser Dimension, nicht zustande gekommen. Wir erwarten kein Lob – wir erwarten Unterstützung! Und es genügt auch nicht, dass ein bestimmter Betrag zur Verfügung gestellt wird. Zum Problem wird die schnelle und unbürokratische Umsetzung sowie auch die Erarbeitung von Kriterien und die Beratung der Betroffenen. Dazu ist Sachverstand erforderlich und das kostet Kraft und Zeit.

 

Die Verbände könnten noch stärker werden, wenn es in jedem Bundesland einen Landeskulturrat geben würde, der die Interessen der verschiedenen Sparten neben den spezifischen Verbandsinteressen bündelte. Der Kulturrat NRW feiert 2021 sein 25-jähriges Jubiläum. Wir sind zu einem wichtigen kulturpolitischen Faktor der Landeskulturpolitik geworden und stehen in ständigem Kontakt mit allen Entscheidungsträgern. Wenn es gelingen sollte, diese Erfahrungen auf andere Länder zu übertragen, wäre es nur folgerichtig, die Landeskulturräte als unverzichtbares föderales Element auch im Deutschen Kulturrat in einer neuen Sektion zu verankern. Die enge Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturrat hat sich für uns als sehr fruchtbar erwiesen.

 

Die Zukunft der Kulturpolitik

 

Wir haben allen Anlass, über die Zukunft der Kulturpolitik nachzudenken. Das war schon vor Corona geboten, aber ist es jetzt umso mehr. Der Kulturrat NRW bereitet zurzeit für April eine Konferenz zu diesem Thema vor – gemeinsam mit dem Städtetag NRW und den beiden Kultursekretariaten sowie in engem Kontakt mit dem Deutschen Kulturrat.

 

Im Kern geht es darum, den Strukturwandel in der Gesellschaft zu analysieren und ihm gerecht zu werden. Dazu gehören auch die Erfahrungen, die während der Pandemie gewonnen wurden, also unter anderem die Erkenntnis, dass eine hinreichende Absicherung von Soloselbständigen fehlt. Wir werden uns mit den neuen Formen der Kulturproduktion, mit der Kulturvermittlung und mit der Reaktion des Publikums beschäftigen müssen, auch mit den Erfahrungen, die mit digitalen Dialog- und Vermittlungsformen gemacht wurden. Weitere Themen sind: die Kulturentwicklung in den urbanen und ländlichen Räumen, die Diversität, die Nachhaltigkeit, eine Auflösung der strikten Trennung zwischen Wirtschafts-und Kulturförderung und die Lage der freien Szene.

 

Die künftige Förderung muss Planungssicherheit gewährleisten – auch über die Jahreshaushalte hinaus. Sie muss von bürokratischem Ballast befreit werden. Im Laufe der Corona-Pandemie sind ja schon einige Hürden weggeräumt worden.

 

Offenbar gehen wir in düstere Monate. Sehen wir aber auch das Positive der Krise: Schon lange nicht mehr ist das Bewusstsein für die Bedeutung der Kultur so lebendig gewesen wie heute. Neue Energien wurden frei, neue Kreativität, neue Formate auch unter Nutzung des Digitalen, Experimentierlust, Selbstbehauptungswillen. Die Krise weckt auch Kräfte. Mut zur Zukunft – das ist das Gebot der Stunde.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.

Gerhart R. Baum
Gerhart R. Baum ist Innenminister a. D. und Preisträger des Kulturgroschens 2019 des Deutschen Kulturrates.
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