Mehr als ein Lichtblick im Lockdown

Zwei Milliarden für NEUSTART KULTUR

Wann kann es endlich wieder losgehen? Wann können Museen, Kinos, Theater, Konzerthäuser und Musikclubs endlich wieder ihre Pforten öffnen? Wann können Künstlerinnen und Künstler, Kultureinrichtungen und Kulturveranstalter ihre Kraft endlich wieder frei entfalten? Ich wünschte, ich könnte diese ebenso dringlichen wie drängenden Fragen, die mich seit Monaten tagtäglich in Briefen, E-Mails und persönlichen Gesprächen erreichen, mit einem konkreten, nicht allzu fernen Datum beantworten. Denn natürlich bewegen mich die Nöte und die Verzweiflung all jener, denen der wochen-, ja mittlerweile monatelange Lockdown die Existenzgrundlage und die Zukunftsperspektiven raubt. Die vielen Einzelschicksale, um die es hier geht, aber auch die geistige und seelische Verarmung, die mit dem Verstummen der Kultur zu befürchten ist, können und dürfen nicht einfach als Kollateralschaden notwendiger Infektionsschutzmaßnahmen in Kauf genommen werden. Deshalb habe ich mich von Anfang an dafür eingesetzt, dass der Kultur- und Kreativbereich in größtmöglicher Form von den Corona-Hilfen der Bundesregierung profitiert. Infrastruktur sichern, damit keine Arbeitsplätze wegfallen: Dieser Anspruch hatte dabei für mich oberste kulturpolitische Priorität.

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Das Zukunfts- und Soforthilfeprogramm NEUSTART KULTUR, nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 zunächst mit einer Milliarde Euro ausgestattet, löst diesen Anspruch ein. Obwohl Kultur in Deutschland bekanntlich in erster Linie in der Verantwortung und Zuständigkeit der Länder liegt, ist das Bundeskulturressort das einzige Ressort, das ein eigenes Hilfspaket bekommen hat – eine Anerkennung der gesamten Bundesregierung für die immense Belastung, die wir der Kultur- und Kreativbranche zumuten, aber auch eine Anerkennung ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung. Mithilfe inhaltlicher Anregungen und administrativer Unterstützung von Fonds, Verbänden und weiteren Kooperationspartnern ist es ab dem Sommer 2020 gelungen, ein Programm mit rund 60 einzelnen Förderlinien aufzusetzen. Es berücksichtigt die Bedürfnisse einzelner Künstlerinnen und Künstler ebenso wie die Belange kultureller Institutionen, die ihre Häuser auf pandemiegerechten Betrieb umstellen. Die ersten Anträge konnten schon im September 2020 gestellt werden, nicht zuletzt dank der guten Zusammenarbeit mit den Mitgliedsverbänden des Deutschen Kulturrates. Ohne ihre Branchenkenntnis, ohne den intensiven und engen fachlichen Austausch hätten wir so viele Förderlinien in so kurzer Zeit wohl nicht an den Start bringen können. Bereits zum Jahresende 2020, also nach vier Monaten, war mit rund 900 Millionen Euro beinahe das gesamte Budget konkret verplant, belegt und den Fonds und Verbänden zur Verfügung gestellt. Bereits bewilligt waren 500 Millionen Euro.

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Diese Zahlen und auch die Rückmeldungen der mittelausreichenden Partner belegen: Binnen kürzester Zeit hat NEUSTART KULTUR seine Wirkung bundesweit entfaltet und stößt in der Kunst- und Kulturbranche auf enorme Resonanz. Es freut mich sehr, dass wir auf diese Weise die kulturelle Infrastruktur und damit auch Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten für Künstlerinnen, Künstler und Kreative erhalten können. Bei der ersten Auflage des NEUSTART-Programms 2020 war der zweite Lockdown aber natürlich nicht eingepreist. Deshalb habe ich mich mit Nachdruck für eine massive Aufstockung der Mittel eingesetzt. Mit Erfolg: Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung hat Anfang Februar entschieden, eine weitere Milliarde für NEUSTART KULTUR bereitzustellen. Damit werden sich die Corona-Hilfen im Rahmen dieses Programms auf insgesamt zwei Milliarden Euro belaufen, also auf eine Summe, die dem gesamten Jahresetat der BKM entspricht! Die zusätzliche Kulturmilliarde versetzt uns in die Lage, die zum Teil immensen Mehrbedarfe zu decken, die einzelne Programmlinien bereits zum Jahresende verzeichnet haben, und gleichzeitig dort neue Mittel auszuschreiben, wo wir Bedürfnisse bisher noch nicht ausreichend berücksichtigen konnten. So ist es mir beispielsweise ein dringendes Anliegen, etwa in Form von Stipendien noch mehr direkte Unterstützungsangebote für individuell betroffene Künstlerinnen und Künstler zu schaffen.

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Ihren vielfältigen Lebens- und Arbeitsformen besser als zu Beginn der Pandemie Rechnung zu tragen und passgenaue Unterstützung insbesondere auch für Soloselbständige und kurz befristet Beschäftigte zu ermöglichen, war neben der Sicherung der kulturellen Infrastruktur ein weiterer kulturpolitischer Arbeitsschwerpunkt im zweiten Lockdown. Schon im Frühjahr und Sommer 2020 habe ich – so wie Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker der Länder – solche Hilfen gefordert, unter anderem im Corona-Kabinett. Mit den November- und Dezemberhilfen, besonders aber mit der Neustarthilfe im Rahmen der Überbrückungshilfe III gibt es für sie nun endlich auch eigenständige passgenaue Hilfen. Sie haben die Möglichkeit, eine Pauschale von bis zu 7.500 Euro zu beantragen – unabhängig von betrieblichen Fixkosten. Dabei werden auf meine Initiative nun auch kurz befristet Beschäftigte im Bereich der darstellenden Künste ausdrücklich einbezogen – ein wichtiges Signal gerade auch für Schauspielerinnen und Schauspieler.

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Ich hoffe sehr, dass die Hilfen des Bundes der Kultur nicht nur in den nächsten Monaten das Überleben sichern, sondern dass sie auch die langfristigen Folgen der Pandemie lindern. In jedem Fall schaffen sie Bewegungsspielraum für die Kommunen, die mit 46 Prozent den Löwenanteil der Kulturförderung in Deutschland leisten. Der Bund hat sie im Rahmen der NEUSTART-Hilfen in zweistelliger Milliardenhöhe entlastet, damit sie bei etwaigen Sparmaßnahmen nach dem Kassensturz am Jahresende nicht ausgerechnet bei der Kultur den Rotstift ansetzen. Auch auf europäischer Ebene habe ich mich für Verbesserungen eingesetzt: Hier ist es im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gelungen, das für Kultur und Medien zentrale Förderprogramm „Kreatives Europa“ ab 2021 mit rund 800 Millionen Euro zusätzlich – und das bedeutet: mit einem Etat von mehr als 2,2 Milliarden Euro – auszustatten. Darüber hinaus haben wir unter deutschem Ratsvorsitz den Rahmen für weitere Unterstützungsmaßnahmen geschaffen. Die Kultur kann nun z. B. stärker als zuvor an anderen EU-Förderprogrammen partizipieren. Die Europäische Kommission setzt derzeit den Vorschlag zur Errichtung eines Internetportals um, das über diese Fördermöglichkeiten informiert und die Antragstellung erleichtert.

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In den nächsten Wochen wird es nun vor allem darauf ankommen, konkrete Öffnungsperspektiven für Kultureinrichtungen und Kulturveranstalter zu erarbeiten. Ich appelliere an die zuständigen Länderministerinnen und -minister, dabei differenziert vorzugehen, statt großflächig an pauschalen Schließungen festzuhalten. Kultureinrichtungen waren die ersten, die schließen mussten, sie dürfen nicht die letzten sein, die wieder öffnen dürfen.

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Insbesondere für Museen gilt: Ihre Lüftungsanlagen sind in der Regel auf höchstem Niveau; außerdem haben sie hervorragende Hygienestandards erarbeitet und umgesetzt. Auch in Konzerthäusern mit guten Lüftungsanlagen ist das Ansteckungsrisiko – das haben mehrere wissenschaftliche Studien gezeigt – bei Besetzung des Saals im Schachbrettmuster und Maskenpflicht für das Publikum sehr gering.

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Kulturorte, die sich von Anfang an solidarisch gezeigt und wirksame Hygienekonzepte entwickelt haben, verdienen Öffnungsperspektiven, und zwar möglichst bald – zumal die Sehnsucht der Menschen nach geistigen Naherholungsgebieten wie Museen und Bibliotheken, nach kulturellen Gemeinschaftserlebnissen im Kino und bei Konzerten ebenso groß ist wie die Sehnsucht der Künstlerinnen und Künstler nach Bühne und Publikum und der Wunsch aller in der Kulturbranche Beschäftigten, mit Planungssicherheit endlich wieder an die Arbeit zu gehen.

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Viele Kultureinrichtungen sind seit mittlerweile elf Monaten geschlossen. In einer europaweiten Studie hat Ernst & Young festgestellt, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft mit 31 Prozent die mit am schwersten getroffene Branche ist – nach der Luftfahrt, aber sogar noch vor Tourismus und Autoindustrie. Die Darstellenden Künste leiden unter einem Minus von 90 Prozent. Deshalb müssen wir alle der Kultur wieder auf die Beine helfen. Die Mittel aus dem Soforthilfe- und Konjunkturprogramm NEUSTART KULTUR helfen ihnen dabei, die Wiedereröffnung unter Infektionsschutzauflagen bestmöglich vorzubereiten. „In keinem Land weltweit wird die Kultur in Corona-Zeiten so üppig unterstützt“, kommentierte dies schon im August 2020 die Kulturjournalistin Maria Ossowski im rbb. „Wenn ich mit Kollegen aus Großbritannien und den USA spreche, höre ich immer wieder, wie sehr sie uns in Deutschland um die staatliche Hilfe beneiden“, sagte der Kölner Kunsthistoriker und Museumsdirektor Yilmaz Dziewior am 7.  Januar 2021 in einem Interview im Kölner Stadtanzeiger. Selbst in der Washington Post wurde das Engagement der BKM für die Kultur von einem Theaterkritiker, Peter Marks, vor Kurzem ausdrücklich gewürdigt. Auf dieses Engagement können alle, die mit Kunst und Kultur ihren Lebensunterhalt verdienen, auch weiterhin zählen. Im intensiven und engen fachlichen Austausch mit dem Kulturrat und seinen Mitgliedsverbänden werden wir – und damit meine ich insbesondere auch die BKM-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, die dafür seit Monaten im Dauereinsatz sind – weiterhin alles in unseren Möglichkeiten Stehende tun, um Deutschlands kulturelle Vielfalt am Leben zu erhalten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.

Monika Grütters
Monika Grütters, MdB ist Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
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