Lasst uns wieder über Kultur reden!

Die neue Etappe des kulturellen Umgangs mit den Folgen des Coronavirus

Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, nicht immer nur über Geld zu reden“, schrieb Florian Zinnecker, Kulturredakteur bei der Hamburger Zeit, vor wenigen Tagen.

 

Der Stoßseufzer des klugen Kulturbeobachters hat einiges für sich. Wir müssen über viele Dinge jenseits des Geldes reden: Über die Rolle der Kultur in einer unter Druck stehenden Gesellschaft. Über die Freiheit öffentlicher Räume, in denen wir verhandeln können, wie wir miteinander leben wollen. Über den Reiz des wilden und spekulativen Denkens und Produzierens – und die Möglichkeit dazu. Über die politische Kultur unserer Gesellschaft und über ihre kulturelle Politik.

 

Aber all das setzt voraus, dass wir uns sicher sein können, dass das materielle Fundament künstlerischen Produzierens und kulturellen Erlebens gesichert ist. Und zwar in einer Zeit, in der viele kulturelle Orte und Formate nach wie vor nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind. Daher müssen wir dann doch zunächst über Geld reden, wenn wir zukünftig über Kultur reden wollen.

 

Es ist bemerkenswert, was seit dem teilweisen Shutdown Mitte März an Unterstützung für die Kultur auf den Weg gebracht worden ist. In den vielen Hilfsprogrammen spiegelt sich ein gewachsenes Bewusstsein für die Bedeutung der Kultur. Anders als bei früheren Krisen war es nicht notwendig, Hilfen nachträglich in die Programme zu basteln. Kultur wurde von vornherein mitberücksichtigt. Viele Länder haben ihre Kulturhaushalte aufgestockt, um Privattheatern, Musikclubs, Veranstaltern und Initiativen schnell und unbürokratisch helfen zu können. Viele haben die Soforthilfen des Bundes, die auf betriebliche Ausgaben fokussiert waren, mit eigenen Mitteln ergänzt, um Soloselbständigen – und damit vielen Künstlerinnen und Kreativen – direkt zu helfen. Mal passierte das durch pauschale Soforthilfen wie in Hamburg oder Berlin, mal durch Stipendienprogramme, mal durch die Anrechenbarkeit eines fiktiven Unternehmerlohns.

 

Der Bund hat darüber hinaus die Zugänge zur Grundsicherung für Selbständige erleichtert: Er verzichtet auf die Prüfung der Angemessenheit des Wohnraums, hat die Vermögensprüfung vereinfacht und die Arbeitsvermittlung ausgesetzt. Alles, um Menschen, die weiterhin arbeiten, aber keine Einkünfte mehr erzielen, helfen zu können. Man stelle sich vor, wie die Lage gewesen wäre, wenn wir noch auf die kommunale Sozialhilfe angewiesen wären …

 

Dass nun im Konjunkturpaket des Bundes neben vielen allgemeinen Hilfen, die wie das Kurzarbeitergeld, die Überbrückungshilfen oder die Mehrwertsteuersenkung auch der Kultur offenstehen, nun eine Milliarde ausdrücklich für die spezifischen Bedarfe der Kultur reserviert sind, setzt diese Entwicklung fort. Mit den Geldern können die Bemühungen von Kommunen und Ländern unterstützt werden, pandemiebedingte Umbauten zu ermöglichen, Einnahmeausfälle zu kompensieren und neue Produktionen zu ermöglichen.

 

Diese Hilfe ist dringend nötig. Zum einen trifft die aktuelle Situation diejenigen besonders hart, die bislang ohne oder nur mit geringer staatlicher Unterstützung klargekommen sind und bei denen die Umsatz- und Einnahmeausfälle nun besonders ins Kontor schlagen. Und zum anderen sind Kommunen angesichts der überall steigenden Belastungen oft damit überfordert, ihren kulturfördernden Verpflichtungen alleine nachzukommen. Hier mit klugen Programmen schnell zu helfen ist unerlässlich, wenn wir die kulturelle Infrastruktur der Bundesrepublik dauerhaft sichern wollen.

 

Es ist der Initiative vieler zu verdanken, dass diese nationale Kraftanstrengung für die Kultur möglich wurde. Viele Verbände, viele Künstlerinnen und Kreative und auch der Deutsche Kulturrat haben klar und nachvollziehbar die Bedarfe artikuliert. Die Länder sind früh mit eigenen Hilfsprogrammen von erheblichem Ausmaß in die Verantwortung gegangen und haben dem Bund angeboten, partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Und die Bundesregierung hat von der zuständigen Staatsministerin über den Vizekanzler bis zur Bundeskanzlerin früh klargemacht, dass der Kultur geholfen werden soll. Es ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit, dass der Finanzminister Olaf Scholz, als er nach den Inhalten des Konjunkturpaketes gefragt wurde, als Erstes die Kultur genannt hat. Diese Wertschätzung ist wichtig. Aber sie muss sich jetzt auch in der Umsetzung stetig erweisen. Das wird nur gelingen, wenn sich Bund und Länder gut und eng abstimmen. Die Länder sind dazu bereit. Sie wissen, wo die Not am größten ist, und sie haben bereits viele Instrumente entwickelt, die konkret helfen und wirksam sind, und werden weitere Hilfen auf den Weg bringen.

 

Wir stehen am Beginn einer neuen Etappe des kulturellen Umgangs mit den Folgen des Coronavirus. Während es in den ersten Wochen darum ging, die Ausfälle aus dem kompletten Erliegen des kulturellen Lebens zu kompensieren, müssen wir nun die Wiederaufnahme der Produktion ermöglichen. Wir müssen ausprobieren, wie es sich anfühlt zu veranstalten. Wir müssen Formate entwickeln, die den Hygiene- und Abstandsregeln gerecht werden. Und wir müssen uns darum kümmern, dass künstlerische Intervention, Inspiration und Irritation unsere gesellschaftlichen Diskurse aufmischen können.

 

Damit wir eben nicht nur über Geld reden, wenn wir uns den Fragen zuwenden, was wir aus den vergangenen Monaten eigentlich gelernt haben und wie wir künftig leben wollen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.

Carsten Brosda
Carsten Brosda ist Senator für Kultur und Medien Hamburg.
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