Krise als Chance?

Die Coronakrise ist keine Chance, sie ist eine Bewährungsprobe

Immer wieder ist zu hören, dass die Corona-Pandemie auch Chancen in sich birgt. Es ist ein bisschen wie beim sprichwörtlichen Pfeifen im Walde, das die Erfahrung lehrt, auch ein düsterer Weg hat ein Ende und bei dem der Stolz mitschwingt, diesen Weg gemeistert zu haben. Während der Finanzkrise im Jahr 2008 war auch schon zu hören, Krise als Chance. Wer ehrlich zurückschaut, wird feststellen, dass so viel mit Chance nicht war, an vielen Baustellen, die auch schon 2008 zu erkennen waren, wurde weiter zwar gewurschtelt, die Probleme aber nicht behoben.

 

Sehen wir uns einige der Baustellen in der Coronakrise an, die den Kulturbereich betreffen, die schon lange bestehen und bei denen endlich die Arbeiten fortgesetzt und zu einem positiven Ende geführt werden sollten.

 

Arbeits- und Sozialrecht

 

Bereits seit Jahren ein Thema ist das Arbeitslosengeld I für kurz befristet Beschäftigte und davon abgeleitet, jetzt auch das Kurzarbeitergeld. Neben den „normal“ abhängig Beschäftigten sowie den Selbständigen gibt es im Kulturbereich, speziell in der Darstellenden Kunst und im Film, die kurz befristet Beschäftigten, die teils für wenige Tage abhängig beschäftigt werden. Schon sehr lange beschäftigt uns, trotz zwischenzeitlich erreichter Verbesserungen, dass viele zwar Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen, im Fall von Arbeitslosigkeit aber leer ausgehen, weil die Bezugsbedingungen nicht erfüllt werden. Ähnliches ist jetzt bei der coronabedingten Kurzarbeit zu beachten. Hier gilt es, die bestehende Rechtslage so zu verbessern, dass die gesetzlichen Leistungen tatsächlich greifen.

 

Einen Schritt weiter gehen die derzeit diskutierten Vorschläge, die Arbeitslosenversicherung für Selbständige über die bisherigen Vorgaben hinaus zu öffnen und ggf. die Auftraggeber in die Beitragszahlung einzubeziehen. Konsequenz einer solchen Maßnahme wäre, dass Selbständige Arbeitslosengeld erhalten könnten. Doch würde das letztlich nicht auch bedeuten, dass Selbständige wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssten – mithin ihre Selbständigkeit aufgeben? Der Fachausschuss Arbeit und Soziales des Deutschen Kulturrates wird sich hiermit in den nächsten Monaten befassen. Noch weiter geht die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen als Ersatz für die bisherigen staatlichen Leistungen wie Grundsicherung, Wohngeld usw. Auch dieses Thema wird im Deutschen Kulturrat debattiert werden und wir sind gespannt auf die Positionen aus der Mitgliedschaft.

 

Die Grundrente wird Anfang des kommenden Jahres kommen. Es ist zu befürchten, dass viele freiberufliche Künstlerinnen und Künstler nicht in den Genuss kommen werden, da sie zwar ausreichend viele Jahre eingezahlt haben, ihr Einkommen aber zu gering war. Eigentlich ein Hohn, soll die Grundrente doch gerade jenen zugutekommen, die lange Zeit Beiträge gezahlt, aber wenig verdient haben. Eine Baustelle ist nach wie
vor die Einbeziehung von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung. Eine Fragestellung, die bereits in der dritten Legislaturperiode beraten wurde und es verdient, endlich gelöst zu werden.

 

Urheberrecht

 

Die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie wird – hoffentlich – fristgerecht bis zur Mitte des kommenden Jahres abgeschlossen sein. Dennoch wird das Thema an Relevanz nicht verlieren. Es gilt, dafür Sorge zu tragen, dass Urheberpersönlichkeitsrecht stärker in das Bewusstsein rückt und dass die Rechteinhaber einen wirtschaftlichen Ertrag aus der Verwertung künstlerischer Werke ziehen können müssen. Dass Wissenschaft und Bildung einen privilegierten Zugang zu Kultur haben, wird heute und in Zukunft durch Schrankenregeln sichergestellt. Offen ist nach wie vor die Frage der Ausstellungsvergütungen. Hier besteht eine Lücke im Urheberrecht, über die seit Jahrzehnten debattiert wird und die dringend geschlossen werden sollte.

 

Steuerrecht

 

„Für ein kulturfreundliches Steuerrecht“, so überschrieb der Deutsche Kulturrat über Jahrzehnte hinweg seine steuerpolitischen Vorschläge. In den letzten Jahren fiel es uns im Fachausschuss Steuern über die bekannten Baustellen, wie der Forderung nach einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz für den Kunsthandel, schwer, weitere zündende steuerpolitische Themen zu setzen. Es stellt sich jetzt in der Krise die Frage, inwiefern im Steuerrecht Anreize zur Nachfragesteigerung nach Kunst und Kultur gesetzt werden könnten. Einzelne Vorschläge aus der Mitgliedschaft des Deutschen Kulturrates bestehen bereits, die weiterverfolgt werden könnten.

 

Angebot und Nachfrage

 

Denn eines ist klar, Kultur braucht auch Nachfrage. Vollkommen unstreitig ist, dass sich die direkte Kulturförderung darauf konzentrieren sollte, zu fördern, was es schwer hat und am Markt nicht ohne weiteres existieren kann. Ohne Zweifel müssen Künstlerinnen und Künstler ihr Werk schaffen, ganz unabhängig von Publikumsgeschmack und -vorlieben. Selbstverständlich braucht avantgardistische Kunst, die ungewohnt ist und die Seh- und Hörgewohnheiten irritiert, Unterstützung. Natürlich muss es darum gehen, neue Publika zu gewinnen. Dennoch, Kultur ist auch ein Markt. Ein ökonomischer Markt und ein Aufmerksamkeitsmarkt. Wenn sich über viele Jahre hinweg kein künstlerischer Erfolg im Sinne von Publikum oder Käufern einstellt, ist das Werk zwar möglicherweise immer noch hervorragend, stößt aber offenbar auf zu wenig Resonanz.

 

Das sehr niedrige Einkommen selbständiger Künstlerinnen und Künstler hat viele Ursachen, das Verhältnis von Angebot und Nachfrage gehört sicherlich in das Ursachenspektrum. Ein Aspekt in diesem Spektrum ist sicherlich auch die Standortwahl, die nicht nur für Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft, sondern auch für Künstlerinnen und Künstler relevant ist. Ohne unternehmerisches Handeln werden freiberuflich arbeitende Künstlerinnen und Künstler dauerhaft nur schwer überleben können.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
Vorheriger ArtikelViele Freitagsgebete in Moscheen bleiben weiter aus
Nächster ArtikelNEUSTART KULTUR: Die Zukunftsprogramme der Kulturförderfonds