Olaf Zimmermann - 27. März 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

Kleinteilig, differenziert, kreativ und extrem verletzlich


Der Kulturbereich in der Krise

Wie kleinteilig, wie differenziert und auch wie extrem verletzlich der Kultur- und Medienbereich ist, zeigt sich in der derzeitigen Corona-Pandemie überdeutlich. Kaum war klar, dass Kultureinrichtungen schließen, dass Kulturveranstaltungen abgesagt werden müssen, dass Angebote der kulturellen Bildung nicht stattfinden können, dass Dreharbeiten nicht durchgeführt werden können und so weiter …, meldeten sich Künstlerinnen und Künstler, Inhaberinnen und Inhaber kleiner, aber auch mittlerer Betriebe der Kulturwirtschaft sowie viele Vereine, die Veranstaltungen durchführen, wie es denn nun weitergehen könne? Was wir als Deutscher Kulturrat tun können, um ihnen zu helfen? Viele sorgen sich um das nackte Überleben.

 

Die Corona-Pandemie und vor allem das Herunterfahren des gesellschaftlichen und des kulturellen Lebens in Deutschland führt zum einen die Kleinteiligkeit des Kulturbereiches vor Augen und macht zugleich deutlich, wie alles zusammenhängt. Viele kleine Rädchen greifen ineinander, um das große Rad Kultur und Medien in Deutschland jeden einzelnen Tag im Jahr zu bewegen, zu zeigen und zu erleben. Viele Menschen arbeiten vor und hinter den Kulissen, dass der Laden läuft. Es sind Angestellte ohne Befristung, befristet Angestellte, kurz befristet Beschäftigte, freie Mitarbeiter, Werkvertragsnehmer, Dienstleister, Soloselbständige – als Künstlerinnen und Künstler oder auch als Dienstleister. Sie alle sind vom He-runterfahren der kulturellen Infrastruktur existenziell betroffen. Die einen, wie die Künstlerinnen und Künstler, sofort, wenn Veranstaltungen und anderes nicht stattfinden. Die anderen etwas später. Die Formen der Erwerbstätigkeit sind breit gefächert und die wenigsten sind auf Rosen gebettet.

 

Zum Kulturbereich gehören die öffentlichen Kultureinrichtungen, die öffentlich geförderten Institutionen, die Einrichtungen der kulturellen Bildung, die vielfältigen Vereine und nicht zuletzt die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft. In jedem dieser Bereiche gibt es die großen Platzhirsche, die mittleren und jene, die ohnehin am Existenzminimum arbeiten und jeden Monat gerade so über die Runden kommen.

 

Das wichtigste Anliegen war und ist in der ersten Zeit, Nothilfen für jene auf den Weg zu bringen, die nicht wissen, wovon sie die Miete im nächsten Monat zahlen sollen und wie sie ihren Kühlschrank mit dem Lebensnotwendigsten füllen können. Sowohl Bund als auch verschiedene Länder haben in einer sehr großen Geschwindigkeit Soforthilfemaßnahmen auf den Weg gebracht, die denjenigen zugute kommen sollen, deren Existenz durch wegfallende Veranstaltungen, Auftritte usw. bedroht ist. Dass diese Maßnahmen aber nicht geeignet sind, die grundsätzlich schwierige soziale und wirtschaftliche Lage vieler im Kultur- und Medienbereich zu verbessern, sollte sich von selbst verstehen. Es geht um eine Überbrückung, um Unterstützung bei laufenden Kosten usw. und nicht darum, grundlegend die soziale Lage zu verbessern. Dies wird aus einem Mix aus vereinfachtem Zugang zur Grundsicherung und einem Zugang zu Betriebsmittelzuschüssen erreicht.

 

Diese Nothilfe, die für Soloselbständige und Kleinstunternehmen gedacht ist, ist für mittlere und große Unternehmen nicht passend. Sie fallen schon aufgrund der Höhe der benötigten Betriebsmittelzuschüsse, besonders wegen der Bezahlung von Mitarbeitern, durchs Rost. Sie sollen Kredite beantragen, die, so die Bundesregierung, in unbegrenzter Summe zur Verfügung stehen. Der Haken an diesen Krediten ist allerdings, dass sie zurückgezahlt werden müssen – wenn auch unter günstigen Konditionen. Doch die meisten Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft, dazu gehören z. B. auch Privattheater oder privatwirtschaftliche Museen, produzieren nichts, was nach dem Shutdown vermehrt nachgefragt wird. Viele arbeiten gerade so an der Deckungsgrenze und kommen über die Runden. Große Reserven können nicht aufgebaut werden. Brechen, speziell bei Museen, Privattheatern und anderen Veranstaltern, die Einnahmen aus dem Verkauf von Eintrittskarten weg, ist dies sehr schnell existenzbedrohend. Genauso wenig werden, wenn alles wieder überstanden ist, auf einmal mehr Karten verkauft, um Kredite abzahlen zu können. Andere mittlere und größere Unternehmen beispielsweise der Designbranche arbeiten für Kunden, die ihrerseits von der Pandemie betroffen sind, sodass Aufträge wegbrechen oder verschoben werden. Viele Kosten aber bleiben – trotz der Möglichkeit, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken.

 

Ein weiterer Baustein in der Kulturfamilie sind die Vereine. Sie dürfen schon aus Gründen des Gemeinnützigkeitsrechts keine Rücklagen bilden. Viele, wie z. B. soziokulturelle Zentren oder Kunstvereine, finanzieren ihre Angebote, die sich an die Bevölkerung richten, aus einem Mix an Mitgliederbeiträgen, Einnahmen aus Veranstaltungen, Kursgebühren, Projektfinanzierung und, nicht zuletzt bei den soziokulturellen Zentren, aus Erträgen der Kneipe. Wenn dieser Mix ins Wanken gerät, kann es das gesamte System gefährden. Sowohl in der kulturellen Bildung als auch bei jenen freien Trägern, die sich aus verschiedenen Projekten finanzieren, brechen teilweise die Finanzierungsgrundlagen weg und die bestehenden Hilfsmaßnahmen greifen kaum.

 

Und auch die öffentlichen Kultureinrichtungen, die vermeintlich auf der sicheren Seite stehen, sorgen sich um Einnahmeausfälle. Eigenmittel sind ein fester Bestandteil der Kosten- und Finanzierungspläne, wenn sie wegfallen, werden Lücken gerissen. Und die Kosten laufen weiter. Und die soziale Verantwortung für die vielen Auftragnehmerinnen und -nehmer besteht fort.

 

Jetzt in der Krise offenbart sich wieder einmal, wie fragil der Kultur- und Medienbereich als solcher ist. Und das trifft auf die verschiedenen Akteure und Institutionen zu.

 

Beachtlich ist bei aller Sorge und Existenznot, mit welcher Kreativität versucht wird, das Beste aus der Situation zu machen. Online-Kulturangebote schießen aus dem Boden, Theaterschneidereien stellen Schutzmasken her, Konzerte werden im Netz übertragen, Buchempfehlungen per Blog usw. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zeigt seine Informationskompetenz und schafft neue zusätzliche Angebote. Die privaten Sender leisten ihren Beitrag und appellieren deutlich vernehmlich #wirbleibenzuhause. Außerdem gibt es viele Initiativen aus den verschiedenen Branchen zur finanziellen Unterstützung in Not geratener Kolleginnen und Kollegen.

 

Im Moment sind alle, auch der Deutsche Kulturrat, damit befasst, die Situation zu erfassen und Notmaßnahmen zu konzipieren, sie mit der Politik zu diskutieren und dann gemeinsam auf den Weg zu bringen. Das wird auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen, denn viele Bedarfe oder auch Verwerfungen sind heute noch nicht abzusehen. Danach wird aber eine Zeit kommen, in der es darum gehen wird, grundsätzlich über Lehren aus der Krise zu sprechen. Der Kulturbereich muss dringend krisenfester werden, denn so kleinteilig, differenziert und kreativ er ist, so leicht verletzlich ist er auch. Das Letztere müssen wir ändern.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.


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