Jetzt mehr Kultur in Radio, TV und Co

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk strukturiert das Programm um

 

SR

 

Im Sendegebiet des Saarländischen Rundfunks schreitet die Verbreitung des Coronavirus schnell voran. Die hoheitlich verfügten Kontaktbeschränkungen, die seit dem 20. März 2020 gelten, treffen das Kulturleben ins Mark. Für den Saarländischen Rundfunk bedeutet dies: keine eigenen SR-Veranstaltungen, keine Kooperationen mit saarländischen Kultureinrichtungen und keine Sendemitschnitte mehr, also nichts von dem, was das saarländische Kulturleben bisher bereichert hat. Die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern (DRP) hat seit dem 13. März 2020 ihren Spielbetrieb zunächst bis Mitte April eingestellt. So bitter es ist – aber die Gesundheit und Sicherheit unseres Publikums, der freien Künstlerinnen und der eigenen Mitarbeiter geht allem anderen vor.

 

Dennoch findet in den Programmen des Saarländischen Rundfunks weiterhin Kultur statt: SR 2 KulturRadio ist dabei der Partner der Kulturtreibenden im Lande. In der aktuellen journalistischen Berichterstattung werden die Themen aufgegriffen, die in der Branche aktuell sind: die große Solidarität innerhalb der saarländischen Jazzszene, die Sorgen und Nöte der freien Künstler, die Reaktion der saarländischen Buchhändlerinnen auf die Krise, die Sonderprogramme, die Gemeinden und Kulturinstitutionen im Netz bereitstellen, wie etwa das „digitale, kleine Ersatzprogramm“ des Saarländischen Staatstheaters, die Frage, was mit Kunsttransporten passiert, wenn Ausstellungen plötzlich nicht stattfinden und wie das Land Luxemburg seine Kunstszene in der Krise unterstützt. Ziel ist es, die Lage der Künstlerinnen und Künstler und der Kultur ins öffentliche Bewusstsein zu heben und die Hörerschaft dafür zu sensibilisieren.

 

Schon bevor der Shutdown kam, hat SR 2 KulturRadio für die virtuelle Buchmesse des MDR sein Programm geändert und Teile des Sonderprogramms live aus Halle übertragen. Und als die DRP nicht mehr spielen durfte, schüttelte Solist Lars Vogt mit SR 2-Moderator Roland Kunz zwei berührende Solo-Rezitals ohne Publikum und mit erläuternden Gesprächsanteilen aus dem Ärmel.

 

Die coronabedingten Produktionsausfälle im Jazzbereich haben zur Folge, dass ab April eine neue Sendereihe unter dem Titel „Fokus: Jazz aus dem Saarland“ aus der Taufe gehoben wird. Über das Jahr werden starke Konzertmitschnitte von regionalen Musikerinnen und Musikern wiederholt, was diesen in medialer und finanzieller Hinsicht zugutekommt.

 

Auch beim Kabarett gehen die Kolleginnen gemeinsam mit den Künstlern kreativ mit der Krise um. Der traditionsreiche „Gesellschaftsabend“ muss gezwungenermaßen ohne Publikum auskommen und soll als reines Radio-Experiment am 28. März auf Sendung gehen.

 

Für diejenige Zielgruppe, die an guter Popmusik interessiert ist, bietet die Hörfunkwelle SR 1 zunächst bis Ostern die Höhepunkte der Konzertreihe SR 1 Unplugged als Couch-Konzerte im Radio an. Dabei handelt es sich um Konzertabende mit bislang 15 Künstlerinnen und Künstlern, unter anderem Max Giesinger, Johannes Oerding, Alexa Feser, Lewis Capaldi, Anna Loos und Clueso. Die Hörerinnen und Hörer erleben auf diese Weise die intime Atmosphäre in Studio Eins auf dem Saarbrücker Halberg im eigenen Wohnzimmer.

 

Im dritten Fernsehprogramm des Saarländischen Rundfunks stehen diverse hochwertige Dokumentationen und Reportagen bereit, um etwaige Sendeausfälle mit bildstarken Inhalten aufzufangen, darunter ARTE-Produktionen über das Vermächtnis der Zisterzienser.

 

Die Stärke und die Wirkkraft der Landesrundfunkanstalten der ARD liegt, das zeigen die Beispiele eindrucksvoll, im „Zuhause“, also ganz nah bei den Menschen vor Ort, dort wo die Kultur ihre Wurzeln hat. Insoweit ist die aktuelle Krise nicht nur eine Bewährungsprobe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern eine Chance, seine Herkunft und seine Identität eindrucksvoll zu demonstrieren.

 

Thomas Kleist, Intendant des SR und Ricarda Wackers, Leiterin des Bereichs Kultur des SR

 

SWR
Leere hat sich ausgebreitet. Eine Krankheit schafft es, unsere Gesellschaft seit Wochen zu lähmen. Und statt zu kämpfen, soll der richtige Umgang sein, dass sich jeder zurückzieht in sein privatestes Umfeld. Was uns verbindet, ist plötzlich gefährlich, und die Welt bleibt stehen. Am meisten verunsichert uns die Ungewissheit, wie lange sich das Leben so einengen lässt.

 

Viel wurde schon gesprochen und geschrieben über Kleinkunst ohne Publikum, über finanziell klamme Clubbetreiber, über den Stillstand der Kultur. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk verändert sich in diesen Tagen. Wir mussten im SWR Tatort-Produktionen unterbrechen, auch Serien können erst mal nicht weitergedreht werden. Jedes Unternehmen ist verantwortlich für die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Frage stellte sich auch für den SWR und die gesamte ARD: Wie können wir gewährleisten, dass wir arbeitsfähig bleiben und trotzdem alle schützen?

 

Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist in den vergangenen Wochen gewachsen. Bei uns suchen die Menschen Informationen, was die Ausbreitung des Coronavirus angeht. Und gleichzeitig sind wir ein wichtiger Tagesbegleiter, der die Lücken einnimmt, die Freunde, Hobbys und schlicht der Alltag lassen: Wir springen ein, wenn es um den Schulersatz geht, haben unser Fernsehprogramm am Vormittag umgestellt und geben Bildung einen starken Platz. Wir legen beim Thema Information nach, machen Sondersendungen und Liveblogs im Internet. Wir merken, dass die Menschen genau das gerade brauchen. Zu dieser Lücke gehört auch die Kultur. Darum arbeiten wir intensiv an gemeinsamen Projekten, zusammen mit Musikern, mit Theatern und anderen Kulturbetrieben. Das Spannende daran: Es sind keine Einbahnstraßen. Wer das Publikum braucht, der findet es in diesen Tagen bei uns im Internet, Radio und Fernsehen. Was unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält, findet bei uns eine Bühne. Wir sind schnell dabei, von gemeinsamen Werten, gemeinsamer Kultur zu sprechen. Heute zeigt sich, welche Kraft wirklich darin steckt. Kultur ist nicht nur Oper oder Galerie, zu unserer Kultur gehören auch Brauchtum, Mode oder Straßenmusik in der Fußgängerzone.

 

Unsere Kulturlandschaft in Deutschland wird von Corona herausgefordert. Die Nachwirkungen werden noch lange zu spüren sein, ein Ende ist bisher nicht absehbar. Zu unserem großen Schmerz müssen wir beispielsweise auch Veranstaltungen wie die Schwetzinger SWR Festspiele absagen. Aber wo immer möglich, wollen wir in der kommenden Zeit auch dort für Ersatz sorgen, beispielsweise Konzerte vor leeren Rängen übertragen und damit paradoxerweise zu Hause viel mehr Menschen erreichen als sonst. Es sind neue Wege, die wir an vielen Stellen gehen, und auch das braucht ein wenig Zeit, um sich einzuspielen. Das kann kein Ersatz sein für das echte Leben, es geht darum zu überbrücken. Mut kann uns machen, dass so viele Menschen verantwortungsvoll mit der Situation umgehen.

 

Wovon ich überzeugt bin, ist die Kraft, die auch aus dieser Herausforderung wachsen wird. Gerade in der Kultur wird diese Erfahrung von Isolation, von Einsamkeit zu ganz neuen Ideen führen. Und so können wir uns heute schon freuen auf all das, was nach dem Moment der Leere kommt. So wie wir jetzt abbilden, was uns lähmt, werden wir im SWR und der ARD in der Zukunft zeigen, wie Strom und Bäche vom Eise befreit werden. Goethes Osterspaziergang beschreibt genau das Gefühl, was uns nach Corona hoffentlich alle erfasst.

 

Kai Gniffke, Intendant des SWR

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