Jetzt mehr Kultur in Radio, TV und Co

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk strukturiert das Programm um

 

NDR

 

Es ist eine außergewöhnliche Situation, in der wir uns gerade befinden. Die Welt, wie wir sie kannten, scheint still zu stehen. Probleme die unsere Gesellschaft noch vor einigen Wochen diskutiert hat, sind im Angesicht der Corona-Krise in den Hintergrund gerückt. Eine globale Gemeinschaft ordnet sich einem einzigen Thema unter; konzentriert sich auf ein einziges Problem.

 

Meiner Wahrnehmung nach kommt den öffentlich-rechtlichen Sendern in diesen Zeiten eine besondere Rolle zu. Denn in einer Krise, die jedes Individuum in seiner Freiheit beschneidet und die zwischenmenschliche Distanz zur obersten Handlungsmaxime erklärt, ist der Wunsch nach Gemeinsinn und Verbindendem groß wie nie. Und wir verbinden die Menschen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erweist sich gerade jetzt als ganz wesentlicher gesellschaftlicher Faktor, als „Vertrauensspeicher“, der Handlungsfähigkeit und Normalität suggeriert. Oder anders ausgedrückt: So lange um 20 Uhr noch die Tagesschau läuft, gibt es keinen Grund zur Panik.

 

Aber schon nach wenigen Tagen in dieser Krise war und ist deutlich zu spüren, dass es den Menschen jetzt nicht ausschließlich um die Versorgung mit Informationen, Hintergründen und Nachrichten geht. In der verordneten Isolation fehlt ja nicht nur das gesellschaftliche Miteinander, sondern auch die vielfachen Anregungen, die man aus der Teilhabe an Schule, Arbeit, Sport und einem breit gefächerten Kulturangebot zieht. Konzerte, Theater, Lesungen und Gottesdienste – all dies bricht auf einmal weg. Ein Problem nicht nur für Kulturschaffende sondern auch für Kulturliebende.

 

Um diese Lücke zu füllen, bietet der Norddeutsche Rundfunk viel Neues an. Mit der Aktion „Kultur trotz Corona“ haben unsere Kulturredaktionen in Hörfunk, Fernsehen und online eine Bühne für norddeutsche Künstler und Künstlerinnen geschaffen. Musiker, Autoren, Schauspieler oder Poetry-Slammer – alle sind eingeladen, sich selber zu filmen und so auch in Corona-Zeiten ihre Kunst zu präsentieren. Das jeweilige Video wird dann für alle Nutzer auf der Seite ndr.de/kulturtrotzcorona, sowie auf allen Social-Media-Kanälen des NDR zu sehen sein. Die NDR Radioprogramme und das NDR Fernsehen senden ausgewählte Auftritte. Auf der Plattform spielt beispielsweise Alan Gilbert, Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters auf seiner Bratsche, Nils Landgren hat ein Stück mit seiner roten Posaune exklusiv aufgenommen, die Sängerin Anna Depenbusch singt und spielt dabei auf der Ukulele. Und auch norddeutsche Theater beteiligen sich inzwischen an der Aktion.

 

Kultur frei Haus gab es in der ARD mit dem „LIEFERService“ von Schauspieler, Musiker und Regisseur Jan Josef Liefers. Als Gastgeber präsentiert er den Zuschauerinnen und Zuschauern ebenfalls von zu Hause Unplugged-Versionen und Clips, die ihm Künstlerinnen und Künstler per Video geschickt haben und interviewt die Interpreten.

 

Auch Kindern und Jugendlichen bieten wir in dieser Phase vielseitiges Programm an. Beliebte Fernsehserien für unterschiedliche Altersgruppen sollen helfen, die Zeit der Schulschließungen etwas abwechslungsreicher zu gestalten. Zahlreiche Bildungsangebote sollen das Lernen zu Hause unterstützen. Und vorgelesen wird natürlich auch. Gemeinsam mit dem SWR hat der NDR mit bekannten Kinderbuchautorinnen eine ganz besondere Aktion unter dem Motto „live gelesen mit…“ gestartet. Aus ihren privaten Wohnzimmern lesen Autorinnen wie z. B. Kirsten Boie, Isabel Abedi oder Antje von Stemm eine Stunde lang aus ihren Büchern für Kinder im Alter von fünf bis zehn Jahren vor. In einer Fragerunde im Anschluss stehen sie den Jungen und Mädchen Rede und Antwort.

 

Wer es ganz klassisch mag, kann sich schließlich auf das „Konzert des Tages“ freuen, das der NDR jeden Tag online anbietet. Das NDR Elbphilharmonie Orchester hat Höhepunkte aus seiner Auftrittsgeschichte herausgesucht, so dass man diese nun auch außerhalb seines berühmten Wohnzimmers im Hamburger Hafen hören kann.

 

Wenn die Kultur verstummt, fehlt einer Gesellschaft ein elementares Bindeglied. Wir sehen es als eine unserer Aufgaben an, in dieser Zeit fortlaufend neue Wege und Möglichkeiten zu suchen, um die Norddeutschen trotz allem mit Kulturangeboten und Kulturschaffenden zu verbinden.

 

Joachim Knuth, Intendant des NDR

 

rbb

 

Es ist keinen Monat her, da gab es auf die Frage „Was machen wir denn heute Abend?“ allein in Berlin sicher mehrere Hundert attraktive Antworten. An jedem Tag, an jedem Abend kehrten Zehntausende aus Sälen, Zimmern, Arenen, aus Orten der Kultur in ihren Alltag zurück, bereichert in vielfältiger Weise.

 

Tempi passati. Die tägliche, unmerkliche und uns so unverschämt selbstverständlich erscheinende Bereicherung unserer Gesellschaft durch Kultur, Künstlerinnen und Künstler ist zum Erliegen gekommen. Stille liegt über der Stadt, die Menschen bleiben zu Hause, notgedrungen. Sie müssen sich neu orientieren.

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk versteht sich in der gesellschaftlichen Normalität als Säule unserer Demokratie. In dem Ausnahmezustand, den wir jetzt erleben, kommt ihm eine zusätzliche Aufgabe zu: die Lücken zu schließen, die Corona im kulturellen Leben aufreißt. Das machen wir.

 

„Der rbb macht’s“ heißt unsere Ini­tiative, weil die Instanzen von Kunst und Kultur so vieles nicht mehr machen dürfen. Am Anfang der Krise gab es erste Gespräche zwischen unseren Fachleuten und den unterschiedlichen Kulturträgern: Praktisch in letzter Minute konnten wir vor leerem Saal Bizets Carmen, dirigiert von Daniel Barenboim, aus der Staatsoper Unter den Linden live streamen, wenige Tage später wäre das nicht mehr möglich gewesen. Als die auferlegte Vereinzelung begann, trafen sich – mit gebührendem Abstand – im Konzerthaus am Gendarmenmarkt Musikerinnen und Musiker von Weltrang, um ebenfalls live für ihr Publikum zu spielen: Lang Lang, Avi Avital und Daniel Hope im Videostream. Das Schlosspark Theater spielte „Schmetterlinge sind frei“, das Hans-Otto-Theater bereitet sich derzeit auf „Die Mitwisser“ vor, die Philharmoniker steuerten bereits Berio und Bartók bei.

 

Wir freuen uns, dass Lutz Seiler bei rbbKultur im Radio seinen neuen und bereits preisgekrönten Berlin- und Nachwende-Roman „Stern 111“ liest. Wir folgen dankbar mit der Kamera exklusiven Einladungen zu Führungen in die Museen der Region, vom Barberini in Potsdam, wo uns Claude Monet in einer wunderbaren Ausstellung erwartet, bis zu den klassischen Statuen im Alten Museum am Lustgarten. In leeren Clubs, in denen sonst die Jugend der Welt ins Schwitzen (und Schlimmeres) kommt, werfen DJs die Licht- und Soundanlagen an, um ihre Sets bei Radioeins zu streamen. Und weil die Fitnesscenter schließen mussten, gibt es zu alledem noch zweimal am Tag Sport mit Übungsleitern aus hiesigen Vereinen, dazu Märchen für die Kinder und Filmklassiker für Cineasten, deren Kinoabende nun ebenfalls ausfallen.

 

Der rbb macht’s und das Publikum dankt den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, den Institutionen und Häusern auf seine Weise: 160.000 Zuschauerinnen und Zuschauer bei „Carmen“, 25.000 bei der ersten Museumsführung und 35.000 beim ökumenischen, beim evangelisch-katholisch-jüdisch-muslimischen Gottesdienst in der Gedächtniskirche – denn auch der gehört dazu.

 

Wir können uns dem Dank nur anschließen. Denn ohne die Protagonisten, die Talente, die Stars der Kultur, ohne die Opernintendanten, Museumsdirektorinnen und Club-Chefs könnten wir dieses Geschenk der Bereicherung nicht weitergeben. Die Zusammenarbeit ist denkbar schnell, unkompliziert und partnerschaftlich, sie ist ermutigend und beflügelnd in der Krise. Wir sind sehr froh, dem deprimierenden „Fällt aus“ und „Abgesagt“ jetzt ein „Findet statt!“ entgegensetzen zu können: im Radio, im Fernsehen, im Netz. Und deshalb gilt weiter: Der rbb macht’s.

 

Patricia Schlesinger, Intendantin des rbb

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