Für eine stärkere europäische kulturelle Zusammenarbeit

Das europäische Netzwerk der Kulturinstitute EUNIC in der Corona-Krise

Wenn Galerien geschlossen und Konzerte abgesagt sind, Bibliotheken keine Bücher verleihen und keine Scheinwerfer die Bühnen beleuchten, dann steht das kulturelle Leben still. Und wenn dann noch kein Flugzeug abhebt und grenzüberschreitender Verkehr generell nicht stattfindet, kommt zwangsläufig auch der internationale Kulturaustausch zum Erliegen.

 

Konkrete Auswirkungen auf unser Netzwerk

 

Als Plattform für den europäischen Kulturaustausch beruht der Kern der Arbeit von EUNIC, dem Netzwerk der 36 europäischen Kulturinstitute, darauf, dass Menschen zusammenkommen und sich treffen – meist über Landesgrenzen hinweg. In 120 Außenstellen in 92 Ländern sind im letzten Jahr gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen Projekte entwickelt und umgesetzt worden.

 

Wie hat sich nun diese Krise auf die Arbeit des Netzwerks ausgewirkt? Fast alle Mitglieder mussten vorübergehend mindestens die Hälfte ihrer Niederlassungen weltweit schließen: Die ersten Institute stellten im Januar in China den Betrieb ein oder um; und noch vor Ende März hatten auch die Niederlassungen in den Amerikas ihre Arbeit weitgehend an die Distanzierungsgebote angepasst und den Publikumsverkehr unterbunden. So ging die Krise ins Mark.

 

Neu entstandene Projekte

 

Auch im internationalen Kulturaustausch war die erste Reaktion, Kultur ins Internet zu verlagern. So entstanden Projekte, die den Künstlerinnen und Künstlern zugutekamen, deren Live-Auftritte und Ausstellungen abgesagt wurden. In den sozialen Medien haben wir diese unter dem Hashtag #EuropeForCulture gesammelt. Auch einige Mitglieder machten so auf sich aufmerksam: Mit #CzechCultureToTheWorld verlinkte das Tschechische Zentrum Berlin eigens bei Schriftstellerinnen in Auftrag gegebene „Deutsch-Tschechische Corona-Geschichten“ und seine hauseigenen Podcasts.

 

Die finnischen Kolleginnen haben bereits im März den Fonds „Together Alone“ aufgelegt, der Projekte fördert, die sich mit Ausnahmezuständen oder künstlerischer Praxis der Zukunft auseinandersetzen. Die ersten Ideen werden jetzt umgesetzt, darunter eine von einem Algorithmus generierte grafische Arbeit von Mikki Nordmann. Sie interpretiert globale Statistiken der Ausbreitung des Virus und kreiert eine aus Emojis bestehende Kopie des Gemäldes „Agnus Mundi“ aus dem 17. Jahrhundert.

 

Das Goethe-Institut hat mit der offenen, globalen Plattform kulturama.digital ein Angebot für Kulturschaffende lanciert, die Live-Events streamen oder für einen bestimmten Zeitraum anbieten. Die Plattform lädt gleichzeitig Kulturinteressierte ein, sich in eine Veranstaltung aus Slowenien, Singapur oder Südafrika einzuwählen. Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) bereitet gerade ein Projekt mit dem Arbeitstitel „Are you for real?“ vor, ein Format, das das Konzept der klassischen Tourneeausstellungen digital denkt und als partizipative Praxis des Ausstellungsmachens neu definiert.

 

Während in der EU viele Länder Notmaßnahmen zur Unterstützung der Kulturschaffenden eingerichtet haben, stehen in vielen Ländern der Welt kaum staatliche Mittel für die Kultur bereit. In der Ukraine hat das Projekt „House of Europe“ nun neue Programme aufgelegt, um auf die Krise zu reagieren: Darunter eine Online-Universität, die Weiterbildungsmöglichkeiten und kleine Stipendien anbietet, welche zum Lebensunterhalt der Teilnehmenden beitragen. Über 400 Menschen haben dieses schon erhalten. Bei einem Hackathon waren als Beraterinnen und Mentorinnen Menschen aus vielen Ländern involviert, was über rein technische Mittel eine neue Art der Gemeinschaft entstehen ließ. Solange die Ausstattung vorhanden und eine Internetanbindung verfügbar ist, macht es keinen Unterschied, ob man vor seinem Bildschirm in Kiew oder in Brüssel sitzt und gemeinsam an Projekten arbeitet.

 

Auch im Senegal gibt es wenig öffentliche Hilfsangebote für den Kultursektor. Hier hat EUNIC ebenfalls ein neues Programm auf die Beine gestellt, das diesen unterstützt. „Lëlu Di Wajal’Art“ heißt das Projekt, was auf Wolof „kreativer Rückzug, um wieder die Kunst zu feiern“ bedeutet. Entsprechend lädt es ein, Ideen zu entwickeln, die kulturellen Angebote neu zu denken, dabei digitale Technologien zu nutzen und veränderte Verhaltensweisen des Publikums in Zeiten von Corona zu berücksichtigen.

 

Neben diesen Projekten, die die Kulturproduktion und -rezeption digital ausloten, hat die Corona-Krise auch dem Sektor einen Digitalisierungsschub verpasst. Interne Online-Lernangebote für Mitarbeiterinnen wurden initiiert. Bereits jetzt, im Juni, sind die Teilnehmendenzahlen der von EUNIC angebotenen Webinare im Vergleich zum Vorjahr um das Achtfache gestiegen. Viele Mitglieder haben darüber hinaus interne Prozesse digitalisiert, das Rechnungswesen umgestellt sowie Online-Bezahlmöglichkeiten eingeführt. Gleichzeitig fehlt es an dieser Stelle auch am meisten. Nicht nur an technischer Ausrüstung, sondern auch an Wissen und Personal. Ein Schlaglicht darauf werfen die Antworten auf die Frage, was unsere Mitglieder derzeit am meisten brauchen: „digitale Expertise“, „umfassende digitale Transformation“ und gar „Ausrüstung, um Video-Konferenzen durchführen zu können“.

Gitte Zschoch
Gitte Zschoch ist Generalsekretärin des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa).
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