Reiner Hoffmann - 28. Mai 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

Faire Arbeit statt bedingungsloses Grundeinkommen


Gute Bezahlung und Arbeitsbedingungen im Kulturbetrieb garantieren

Die Corona-Krise hat das kulturelle Leben in Deutschland enorm getroffen. Theater, Kinos, Konzertsäle und Clubs mussten schlagartig ihren Betrieb einstellen. Viele Beschäftigte im Kulturbetrieb sind Soloselbständige, die ihren Lebensunterhalt nur bestreiten können, wenn Kunst aufgeführt wird und Honorare gezahlt werden. Zwar bekommen sie nun bis zu 9.000 Euro aus den Rettungspaketen der Bundesregierung, aber umso länger Großveranstaltungen eingeschränkt bleiben, umso stärker ist ihre berufliche Existenz gefährdet. Aber auch abhängig Beschäftigte im Kulturbetrieb sind oft nur zeitlich befristet engagiert – wie am Theater. Oft haben sie nach einem Engagement nicht einmal Anspruch auf Arbeitslosengeld I und fallen gleich in die Grundsicherung, in Hartz IV. In diesen Berufen verschwimmt oft die Grenze zwischen selbständiger Tätigkeit und fester Anstellung.

 

Es erstaunt daher nicht, dass gerade jetzt auch aus der Kreativwirtschaft die Rufe nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) wieder lauter werden. In der Initiative der selbständigen Modedesignerin Tonia Merz wird ein befristetes BGE von 800 bis 1.200 Euro für sechs Monate gefordert. Inzwischen haben mehr als 400.000 Menschen ihre Petition unterzeichnet. Schnell, unbürokratisch und zeitlich begrenzt soll es “Kreativen, Musikern, Künstlern und Veranstaltern zur Verfügung stehen”.

 

Zweifellos ist es höchste Zeit, über die oft existenzbedrohende Situation von Soloselbständigen zu reden. Gerade in dieser Krise zeigt sich, wie sehr das persönliche oder familiäre Budget vieler “auf Kante genäht” ist. Das gilt nicht nur für die Kulturschaffenden selbst, sondern auch für die vielen Menschen, ohne deren Arbeit kein Theaterauftritt und kein Konzert möglich wäre: Technikerinnen, Mitarbeiter in Agenturen, Logistik oder Gastronomie. Statt diese Menschen schnöde auf Hartz IV zu verweisen – wie es einige politisch Verantwortliche gerade tun – sollten von der Politik ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, Soloselbständige dauerhaft sozial besser abzusichern. Denn nicht nur ihr Lebensunterhalt bleibt prekär, auch ihre soziale Absicherung für Rente, Krankheit, Pflege und Arbeitslosigkeit.

 

Vielen ist der Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung de facto versperrt, etwa weil sie schon sehr lange selbständig sind. Sie sollte für alle geöffnet werden, auch für Beschäftigte ohne Vorversicherung. Beiträge und Leistungen sollten sich am realen Einkommen orientieren – wie bei Arbeitnehmerinnen und -nehmern üblich. Für freiwillig versicherte Selbständige sind die Beiträge in den letzten Jahren stark erhöht worden. Und selbst wenn diese Summe Monat für Monat abgezwackt werden kann, ergibt sich daraus kein dauerhafter Schutz: Wer mehr als zwei Mal Leistungen beantragt hat, wird wieder ausgeschlossen.

 

Auch die gesetzliche Krankenversicherung operiert bei Selbständigen mit einem angenommenen Mindesteinkommen. Die Gewerkschaften haben durchgesetzt, dass dieses Mindesteinkommen zum Januar 2019 von knapp 2.300 auf 1.038 Euro gesenkt wurde. Aber der Mindestbeitrag liegt noch immer bei 170 Euro, eine Summe, die an der finanziellen Wirklichkeit vieler Soloselbständiger vorbeigeht. Zudem fordert der DGB, die Beiträge von Soloselbständigen ausschließlich auf die Einkünfte aus der hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit zu erheben, wie dies auch bei der Berechnungsgrundlage für Arbeitnehmerinnen und -nehmer der Fall ist. Wir müssen Bedingungen auch im Kulturbetrieb schaffen, die faire Arbeit mit ordentlicher Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen garantieren.
Ein Weg zu mehr Gerechtigkeit ist für den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften die Weiterentwicklung der bestehenden Sozialversicherungssysteme zur Erwerbstätigenversicherung, die möglichst alle Erwerbstätigen gegen die Risiken der Erwerbsminderung und des Alters absichert, sowie die Bürgerversicherung, die allen in ihr versicherten Menschen bei Krankheit oder Pflege eine gute Versorgung sichert. Wir wollen damit alle, die nicht bereits durch Gesetz obligatorisch abgesichert sind, in den sozialen Schutz der Sozialversicherung einbeziehen, um ihnen eine bedarfsgerechte Absicherung gegen die zentralen Lebensrisiken im größtmöglichen Kollektiv und damit zum bestmöglichen Preis zu ermöglichen. Das ist sozial ausgewogen und nachhaltig finanzierbar. So könnten die Defizite, gerade für prekär erwerbstätige Selbständige, im gegenwärtigen System der Alterssicherung und der Gesundheitsversorgung behoben werden.

 

Die solidarische Sozialversicherung in Form der Erwerbstätigen- und in Form der Bürgerversicherung kann im Gegensatz zu einem BGE viel präziser und umfassender die besonderen Bedarfe der Versicherten abdecken. Anders als beim BGE, das oft in der Kritik steht, die besonderen Bedarfe nicht zu erfassen, weil es Ungleiches gleichbehandelt und damit Ziel und Wirkung verfehlt. Zudem ist eine Versicherungsleistung tragfähiger finanzierbar. Schauen wir uns die gegenwärtigen Forderungen für ein zeitlich befristetes BGE an: Es würde den Steuerzahler in drei Monaten bei 1.000 Euro pro Monat und 82 Millionen Leistungsempfängern 250 Milliarden Euro kosten. Ob ein BGE in diesen Dimensionen billiger und bedarfsgerechter ist als eine Versicherungsleistung, erscheint zweifelhaft.

 

Für uns Gewerkschaften sind aber nicht nur die Auswirkungen des BGEs auf die sozialen Sicherungssysteme von Bedeutung. Vielmehr stehen die Folgen für die Arbeitswelt im Vordergrund. Wir sind von der Sinnhaftigkeit einer selbstbestimmten, menschenwürdigen Arbeit überzeugt. So wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Artikel 23 zum Ausdruck kommt, dass jeder Mensch “das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit” hat. Darüber sollten wir reden, denn Arbeit muss ihren Wert und ihre Anerkennung erhalten. Ein BGE ist das Gegenteil. In der Arbeitslosigkeit gleicht es vielmehr einer Abwrackprämie für den Arbeitsmarkt.

 

Die Voraussetzung für die Gestaltung selbstbestimmter, menschenwürdiger Arbeit ist und bleibt die Solidarität unter den Beschäftigten in einer starken Gemeinschaft. Wir befürchten aber, dass ein BGE diese Möglichkeiten für die kollektivrechtliche Gestaltung der Arbeitswelt schwächt, denn es ignoriert die Funktion der Tarif- und Sozialpolitik. Und damit entlässt es die Arbeitgeber aus ihrer Verantwortung für gut bezahlte Arbeitsplätze. Es erstaunt deshalb nicht, dass sich viele Unternehmer für ein BGE stark machen, schließlich würde der Staat einen Großteil ihrer Lohnzahlungen ersetzen. Die Belegschaften hätten wiederum weniger Grund, sich solidarisch für höhere Löhne einzusetzen. Sie würden sich entsolidarisieren.

 

Wir sehen gerade in der Corona-Krise, welchen Stellenwert Solidarität für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat. Deshalb kommt es jetzt darauf an, Solidarität in der Arbeitswelt wieder zu stärken. Mit einem BGE würden wir – so meine Befürchtung – das Gegenteil erreichen. Gerade die Corona-Krise zeigt uns, dass wir unseren Sozialstaat aufgrund des Konjunkturabschwungs, begrenzter Ressourcen und zu erwartender Steuerausfälle passgenau konzipieren müssen. Ein pauschales bedingungsloses Grundeinkommen wäre genau das Gegenteil.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2020.


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