Ein Virus lähmt die Kulturstadt

Köln: Schnelle Hilfe und Unterstützung sind nötig

Es erscheint wie in einem Science-Fiction-Roman: Ein Virus grassiert und sorgt für den völligen Verlust von Kultur. Den Menschen entschwindet schleichend der Sinn für das „Gute, Schöne, Wahre“. Die Kulturme-tropole Köln versinkt in völliger geistiger Demenz und die Bewohner verlieren so den Sinn für gesellschaftspolitische Relevanz – Szenen, wie aus Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ treten vor das geistige Auge.

 

Stopp! So weit sind wir noch nicht, es gilt in schweren Zeiten den Sinn für die Realität zu bewahren. Die ist aber in Köln und in der Region, im ganzen Land, an einen schmerzlichen Punkt angekommen. Mit der zunehmenden Aufgabe von sozialen Räumen mussten immer mehr Spielstätten, Clubs, Galerien, Museen, Bibliotheken und Archive ihre Pforten schließen – das Gebot des Abstands ist das wirksamste, auch nicht zu kritisierende Mittel zur Eindämmung der Infizierung mit dem Coronavirus. Wer abends durch die Straßen geht oder mit dem Fahrrad fährt, erlebt eine leere und ruhige Stadt, die das einstige Herz, die Kultur, so schmerzlich vermisst. Kultur verbindet die Menschen – dies wird jetzt mehr als deutlich. Es ist ein schwacher Trost, dass es alle trifft.

 

So entsteht zumindest kein Verteilungskampf um die letzten Besucher, aber es geht allen an die Existenz. Langsam dämmert es den Verantwortlichen, dass gerade Künstler und Kreativunternehmer in teilweise prekären Verhältnissen leben und ohne Nebenverdienst nicht überleben. Immer mehr Schauspieler, Musiker, Bildende Künstler, Schriftsteller, aber auch Clubbesitzer, DJs, Requisiteure, Designer und Werbefachleute stehen mit einem Mal vor der Sorge, die nächste Miete oder den laufenden Kredit nicht zahlen zu können. Kleinstunternehmer, Soloselbständige, wie auch immer die Bezeichnungen sind – diejenigen, die mit ihrer Kunst und Kreativität vielen so viel geben, haben auf einmal nichts. Auch mittelgroße und große Unternehmen bleiben nicht verschont.

 

Das Literaturfestival Lit.Cologne, 111.000 Besucher in 2019, muss verschoben, zahlreiche Konzerte in der Lanxess-Arena, weltweit auf dem dritten Platz mit 1,03 Millionen verkauften Tickets in 2019, müssen abgesagt oder verlegt werden. Eine Terminverschiebung in den Herbst erlebt die ArtCologne, die weltweit älteste Messe für zeitgenössische Kunst. Kinos, Konzerte, Lesungen, Kunsthandel – alles ist nicht mehr. Manche Events harren der Dinge – die c/o pop mit jährlich 35.000 Besuchern soll Ende April stattfinden. Solange kein offizielles Verbot erlassen wird, muss Norbert Oberhaus, Geschäftsführer und Gründer, am Programm festhalten, verbunden mit allen finanziellen Risiken. Selbst bei einer Verschiebung droht Ungemach: „Wenn die Clubs wegbrechen, fehlen uns die Auftrittsorte.“

 

Um aus der Lähmung herauszukommen, bedarf es schneller und unbürokratischer Hilfe. Bund und Land NRW stellen, auf den letzten Drücker, Sofortmittel für kleine Unternehmen zur Verfügung. Hoffentlich kommt das Geld schnell an. NRW-Kultusministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen verkündet Unterstützung für notleidende Künstler und erhält bestehende Förderzusagen aufrecht.

 

Letzteres hält auch die Stadt Köln ein, wie Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach bestätigt. Sie kündigt zudem an: „Als einer der wichtigsten Bausteine wird ein Notfallfonds als städtisches Soforthilfeprogramm ins Leben gerufen, der geförderten freien Kultur-Betrieben und Kultur-Vereinen helfen soll, aus einer wirtschaftlichen Notlage wegen Corona herauszufinden.“ Hilfe naht, denn die Verantwortlichen wissen, dass die Kultur zur DNA der Stadt gehört. Manfred Janssen, Geschäftsführer von KölnBusiness, der städtischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft, hat das Beratungsangebot ausgeweitet: „Es wird mit Hochdruck auf allen Ebenen an konkreten Maßnahmen gearbeitet, damit Kultur und Kreativwirtschaft das Stadtbild auch zukünftig beleben.“ Bei der IHK Köln laufen die Drähte heiß – neben vielen Förderanfragen wird Aufklärung erbeten, was denn Kultur- und Kreativunternehmen in Zeiten von „Schutzverordnungen“ noch dürfen. Einem Filmstudiobetreiber konnte so ermöglicht werden, Dreharbeiten durchzuführen.

 

Was kommt danach? Öffentliche Institutionen können die Krise überbrücken mit digitalen Angeboten, die später hoffentlich bleiben. Auch Künstler und Kreativunternehmer wählen die digitalen Netzwerke, um ihre Werke und Produkte weiterhin anzubieten. Mit Gutscheinen werden Vorauszahlungen eingesammelt. An Solidarität mangelt es nicht – Prominente rufen dazu auf, gekaufte Tickets nicht zurückzugeben. Aber reicht das? Wichtig ist, dass wir alle als Publikum und Konsumenten den Sinn für die Kultur nicht verlieren und dies Künstler und Kreativunternehmer spüren lassen. Nur so kann eine Kulturstadt wieder aus dem Tiefschlaf erweckt und die Krise überwunden werden. Zudem gilt, weitere Kreise der Bevölkerung für die Kultur neu zu begeistern – dann kann aus der Krise auch eine Chance erwachsen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.

Ulrich S. Soénius
Ulrich S. Soénius ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Köln und Direktor der Stiftung Rheinisch-West-fälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln.
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