Ein Teufelskreis

Umfangreiche Hilfen für die Filmwirtschaft: Der Neustart der Kinos ist dennoch nicht geglückt

 

Ausfallfonds: das wichtigste Thema für die Filmwirtschaft

 

Die Filmbranche hat aber nicht nur mit einem erhöhten Aufwand durch die Hygienebestimmungen bei laufenden Produktionen fertigzuwerden, sondern muss sich weiterhin sorgen, dass es zu neuen Zwangspausen bei Spiel- und Fernsehfilmproduktionen kommt. Bis Mitte Mai hatte die Branche laut Erhebungen der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) mehr als 400 Drehabbrüche, Unterbrechungen oder Verschiebungen in Höhe eines Investitionsvolumens von ca. einer halben Milliarde Euro zu verzeichnen. Für die höheren Kosten, die den Produzenten dadurch entstanden sind, kamen bisher zum Teil die Filmförderer der Länder oder die Fernsehsender auf. Allerdings sind diese Hilfen befristet, zumeist bis Ende August oder Anfang September. Angesichts der großen finanziellen Risiken, dass durch eine Corona-Infektion Produktionen erneut unterbrochen oder beendet werden müssen, zögern Produzenten ihre geplanten und teilweise auch geförderten Projekte hinaus. Die Filmwirtschaft ist deshalb auf ein Sicherungssystem angewiesen, damit existenzbedrohende Ausfallrisiken durch Covid-19 nicht allein Produktionsunternehmen schultern müssen, und Finanzierungspartner wieder bereit sind, Zwischenfinanzierungen zur Verfügung zu stellen. Sogenannte Pandemieschäden werden von Versicherungen nicht gedeckt, weshalb damit verbundene Kosten die Produktionsunternehmen voll treffen würden. Die Filmwirtschaft fordert deshalb seit Monaten einen Ausfallfonds, wie er heute bereits in Österreich, Frankreich, Kanada, Großbritannien oder Australien existiert. In Österreich können die Ausfallzuschüsse pro Produktion bis zu 75 Prozent der Herstellungskosten betragen. Für Christoph Palmer, Geschäftsführer der Produzentenallianz, ist der Ausfallfonds gegenwärtig das wichtigste Thema der Filmwirtschaft, damit die Produktion wieder voll anlaufen kann. So verweisen aktuell 39 Verbände und Organisationen der Film- und Fernsehbranche auf eine „massive Gefährdung der Wirtschaftskraft der deutschen Film- und Fernsehindustrie – sowie eine existenzielle Bedrohung für die ohnehin von den Corona-Folgen stark betroffenen Produzenten, Distributoren und anderen Film-und Fernsehschaffenden“.

 

Das Rettungspaket NEUSTART KULTUR sieht 50 Millionen Euro für einen solchen Ausfallfonds vor. Nach den Vorstellungen von Monika Grütters liegt der Fokus des Ausfallfonds auf kleinen und mittelständischen selbständigen Produktionsunternehmen. Bei der Festlegung der Schadenssumme sollen externe Versicherungsexperten eingebunden werden, um eine „professionelle Schadensabwicklung und damit größtmögliche Schadensminderung“ sicherzustellen. So hofft man, die meisten der rund 150 vom Ausfallfonds möglicherweise betroffenen Produktionen im Kinofilm- und Serienbereich im Jahr abzudecken.

 

Mit diesem Fondsmodell des Bundes wird jedoch nur eine sehr begrenzte Zahl von Produktionen abgesichert, und die Erwartungen der Filmwirtschaft nach einem umfassenden Risikoschutz werden nicht erfüllt. Denn der 50-Millionen-Euro-Ausfallfonds greift nur bei Kino- und High-End-Serienproduktionen, die vom Bund oder der FFA gefördert worden sind. Für eine Absicherung von Fernsehproduktionen oder Kinofilmen, die nicht darunterfallen, sind aufgrund unserer föderalen Struktur die Länder und TV-Sender zuständig. Die für das deutsche Fernsehen bestimmten Auftragsproduktionen machen mit jährlich rund 12.500 Programmstunden fast 80 Prozent des Produktionsvolumens aus. Um alle Produktionsbereiche abzusichern und eine „solidarische Risikoabfederung“ zu ermöglichen, regt die Kulturstaatministerin deshalb ein Drei-Säulen-Modell an: Der Bund würde einen wesentlichen Teil des Risikos im Kinofilmbereich sowie bei hochwertigen Serienproduktionen absichern. Die Länder sollten zusätzlich das Risiko der TV- und Kinofilm-Produktionen abfedern, die sie gefördert haben. Die Sender wie auch die Plattformen sollten das Risiko für ihre Eigenproduktionen selbst und umfassend tragen.

 

Nach Vorstellungen der Produzenten soll dieser zweite Ausfallfonds ebenfalls ein Volumen von 50 Millionen Euro haben. Doch bisher können sich die Sender, wenn überhaupt, nur einen minimalen Zuschuss vorstellen, und von den Ländern haben bisher nur Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen zugesagt, einen Ausfallfonds mitzufinanzieren. Die Staatskanzleien der Bundesländer befinden sich aber gegenwärtig zusammen mit den TV-Sendergruppen in der Diskussion, um doch noch einen weiteren Sicherungsfonds auf den Weg zu bringen.

 

Die derzeitige Situation sei besser, als im Frühjahr zu befürchten war, viele Produktionen seien wieder angelaufen, betonte der ARD-Programmdirektor Anfang August in Bezug auf neue sendebereite Fernsehfilme und Serien. Die Produzenten hätten „einen richtig guten Job gemacht“, lobt Volker Herres. Bei den anderen TV-Gruppen sieht es ähnlich aus, auch sie müssen weniger wiederholen als ursprünglich geplant. In diese Lobeshymne auf die Produzenten können die Kinos nicht einstimmen. Sie hatten auf einen kraftvollen Neustart gehofft und wurden mehrfach enttäuscht: Von der Landespolitik, die auf unflexiblen Vorschriften beharrt, und von Produzenten, die trotz großzügiger finanzieller Förderungen längst fertiggestellte Kinofilme einlagern oder an Streaming-Plattformen verkaufen. Selbstverständlich muss ein Produzent wirtschaftlich rechnen und benötigt eine bestimmte Anzahl von Zuschauern, um seinen Film zu refinanzieren. Doch das Risiko einer wieder zum Leben erwachenden Spielfilmkultur darf nicht den Kinos allein überlassen werden. Auch die Produzenten müssen im eigenen Interesse hier mehr Mut zeigen, abgefedert durch einen Ausfallfonds. Ein Fehlstart der Kinos – und danach sieht es jetzt aus – schadet der deutschen Filmwirtschaft kulturell und wirtschaftlich langfristig. Ohne gute Filme kein Neustart der Kinos, und ohne gut besuchte Filmtheater keine erfolgreiche Verwertung der für das Kino produzierten Filme. Es ist ein Teufelskreis!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

Helmut Hartung
Helmut Hartung ist Chefredakteur des Blogs www.medienpolitik.net.
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