Moritz Eggert - 26. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

Die eigentliche Krise kommt noch


Komponisten in der Coronakrise

Als Vertreter der kompositorisch Schaffenden dieses Landes weiß ich, wie unterschiedlich Lebensmodelle sein können. Das Klischee einer Künstlerin, die in stiller Abgeschiedenheit ihre Streichquartette zum eigenen Vergnügen schreibt – wenn sie die Muse küsst –, und der daher die Pandemie relativ wenig ausmacht, wird nur in den wenigsten Fällen zutreffen. Tatsächlich sind die meisten Kolleginnen und Kollegen so vielfältig unterwegs, wie auch die Kultur unseres Landes vielfältig ist. Daher wird jeden die momentane Situation unterschiedlich hart treffen.

 

Klassische „Auftragskomponistinnen und -komponisten“ in sowohl „U“ als auch „E“ mussten natürlich erleben, dass fast alle Liveaufführungen ausfielen oder verschoben wurden. In der Regel wurden schon zugesagte Auftragshonorare zwar bezahlt, doch ohne Liveaufführungen kann nicht die Aufmerksamkeit generiert werden, die für Folgeaufträge so wichtig ist. Gerade vielversprechende Karriereanfänge sind somit auf nach wie vor unbestimmte Zeit „eingefroren“, wogegen die schon etablierten Namen es etwas besser haben. Das hat viele in eine Schaffenskrise geworfen, da sie oft nicht mehr wissen, „wofür“ sie jetzt eigentlich komponieren, wenn jedes Konzert bis zuletzt ungewiss ist.

 

Viele Werke mussten auf den letzten Drücker für kleinere Besetzungen umgeschrieben werden. Das schützt aber nicht immer vor einem Ausfall, denn auch das adaptierte Konzert kann von heute auf morgen als nicht mehr durchführbar gelten. Die sogenannte „Freie Szene“ erwies sich hier teilweise flexibler in der Durchführung von coronagerechten Aufführungen als die subventionierten Häuser, weil der Aufwand und die Anzahl der beteiligten Personen geringer sind.

 

Kommerzielle Arbeit wie z. B. für Film- oder Computerspielmusik traf es bisher etwas weniger hart, da die Film- und Computerspielindustrie nach wie vor einen großen Bedarf hat und weiter produziert. Im Moment ist das sogenannte „Home-Entertainment“ vermutlich so wichtig wie noch nie, daher muss auch weiterhin viel Musik geschrieben werden. Aber ob das so bleibt und ob die in Deutschland so wichtige Basis der öffentlich-rechtlichen Sender nach Corona mit denselben Etats weiterarbeiten kann, ist ungewiss. Auch die fehlende Kinoauswertung macht Sorgen, da sie doch einen nicht unwesentlichen Teil der Einnahmen ausmacht. Auch hier sind die „Etablierten“ besser dran als der junge Nachwuchs – im Moment finden nur wenige Festivals und Fachmessen statt, und dann auch nur online, sodass man schwer wichtige Kontakte knüpfen kann, die auf persönlichen Begegnungen beruhen.

 

Ganz besonders hart hat es die große Zahl der Kolleginnen und Kollegen getroffen, die live auftreten und z. B. ihre eigene Musik spielen. Ihr Einkommen ist ausschließlich an den Liveauftritt gebunden, sowohl in „U“ als auch „E“ gab es hier massivste Einbrüche. Viele mehrgleisig arbeitende Komponistinnen und Komponisten sind zudem in ihren Brotarbeiten auf die eine oder andere Weise von Jobausfällen und Kürzungen betroffen, das fängt schon bei den Studierenden an, denen das studienermöglichende Zubrot als z. B. Kellner komplett wegfällt.

 

Das mit Abstand größte Problem sind jedoch die Tantiemen, die zum größten Teil über die GEMA eingenommen werden. Die GEMA kann nur ausschütten, was sie einnimmt, und das meiste nimmt sie über Livemusik ein. Es ist hierbei wichtig zu verstehen, dass gestreamte Konzerte – die ja als Ersatzveranstaltungen momentan zuhauf stattfinden – gar nicht oder nur mangelhaft und in geringen Dimensionen lizensiert werden. Wo eine Aufführung mit Orchester z. B. 300 Euro einbringen kann, ist dieselbe Aufführung online vielleicht nur 30 Cent oder gar nichts wert. Die allermeisten Auftragshonorare sind ohne GEMA-Einnahmen zu niedrig kalkuliert. Wenn die Tantiemen also ausbleiben, erfolgt spätestens Ende 2021 – wenn die GEMA-Auswertung des Jahres 2020 beendet ist – ein böses Erwachen beim Lesen der Kontoauszüge. Gekoppelt mit den zu erwartenden Kürzungen und Sparmaßnahmen allerorten „nach“ Corona, baut sich also für die Riege der komponierenden Zunft in diesem Land langsam, aber sicher ein vorhersehbares Horrorszenario auf, vor dem man nicht früh genug warnen sollte.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.


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