Das Publikum macht die Musik

Die Auswirkungen des Coronavirus auf den Musikbereich

Das Coronavirus ist auch ein Angriff auf ein Lebensmodell der vielen Künstlerinnen und Künstler, die die Kulturnation Deutschland ausmachen und prägen“, sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters Mitte März der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die zahlenmäßig größte Gruppe unter den Künstlern sind die Musikerinnen und Musiker, weil sie sich in Komponisten, Interpreten sowie Instrumental- und Musikpädagogen gliedern. Besonders betroffen sind die Aushilfen an Orchestern, die nicht auf einer festen Stelle sitzen, und die Freiberufler – eine Gruppe, deren Zahl in den vergangenen vier Jahrzehnten enorm zugenommen hat.

 

Der Autor sieht das Geschehen aus der Sicht des Redakteurs der Musikfachzeitschrift neue musikzeitung (nmz) und hat die Folgen des Shutdowns des Musiklebens daher hautnah miterlebt. Gleichzeitig mit den Konzertabsagen und Schließungen von Musikschulen und Musikhochschulen kamen die ersten Hilferufe an die Politik: Die Forderungen reichen von Nothilfefonds, Grundsicherungsaufstockung bis zum temporären Grundeinkommen. Und alles muss schnell gehen, sonst bricht der Musikbereich weg. Zu Recht, denn die Erfahrungen vergangener Jahre zeigen es schmerzvoll: Was weg ist, ist weg.

 

Ebenfalls unmittelbar betroffen sind die Verlage und deren Mitarbeiter. Massive Umsatzeinbrüche, Homeoffice und Kurzarbeit waren die Folge. Mit Vehemenz wurden daher Forderungen an die Politik laut. „Wir sind irritiert und auch enttäuscht“, so Detlef Kessler, Inhaber und Geschäftsführer des AMA Verlags in den ersten Tagen der Krise, „dass die Politiker aus Bund, Ländern und Gemeinden sich nicht sehen und hören lassen, sondern vielmehr die verunsicherte Kulturszene alleine lassen und keine Wegweiser und keine Mutmacher sind, um vielleicht mit Zuschüssen für den Mittelstand zu helfen, damit die gesamte Kulturszene nicht in Gefahr gerät, kaputtzugehen.“ Diese erste Enttäuschung ist inzwischen etwas abgemildert, denn Bundesregierung und Länder haben diverse Nothilfepakete auf den Weg gebracht, von denen auch die Kulturwirtschaft profitieren soll.

 

Barbara Scheuch-Vötterle, Verlegerin beim Bärenreiter Verlag, betont, dass „kurzfristig die derzeitige Praxis, Veranstaltungen abzusagen, zwar zu unmittelbaren Umsatzeinbußen führt, dennoch sind wir der Meinung, dass diese Maßnahmen notwendig sind, damit Gesellschaft und Wirtschaft diese Phase bestmöglich bewältigen. Wünschenswert wäre aus unserer Sicht allerdings eine bundeseinheitliche Regelung, die Veranstaltern und Künstlern Sicherheit im Umgang mit der Situation bietet, die für alle Beteiligten neu ist.“

 

1719 in Leipzig gegründet und heute in Wiesbaden beheimatet, ist Breitkopf & Härtel der älteste Musikverlag der Welt. Der geschäftsführende Gesellschafter Nick Pfefferkorn legt Wert darauf, „dass mit der Lockerung der Zugänglichmachung von Kurzarbeit schon mal ein wesentlicher Schritt getan ist. Ich kann mir vorstellen, dass für viele Kollegen/-innen im Verlags- und Handelsbereich auch kurzfristige Liquiditätshilfen essenziell sein werden“.

 

Johannes Graulich, Geschäftsführer beim Carus-Verlag Stuttgart, stößt ins gleiche Horn: „Der Kulturbereich benötigt weiterhin auf allen Ebenen eine breite Unterstützung, sodass wir in Deutschland Qualität und Quantität an musikalischen Angeboten behalten können. Ganz konkret muss es aktuell darum gehen, dass die Ausfälle von Konzerten und Aufführungen für Künstler und Veranstalter nicht existenzgefährdend sind.“

 

„Eine ähnlich deutliche und flächendeckende Anerkennung des Stellenwerts unserer Branche haben wir selten erlebt“, meint Barbara Haack, Verlagsleiterin der ConBrio Verlagsgesellschaft und Herausgeberin der nmz, in ihrem Editorial zur nmz-Ausgabe April 2020 zu den Reaktionen aus der Politik und von Seiten der Öffentlichkeit. Haack weist darauf hin, dass es die Verlagsbranche bereits in den letzten zehn Jahren nicht leicht gehabt habe: „Finanzkrise, Urheberrechtsverletzungen, VG-Wort-Urteil, zuletzt der Datenschutz, der Zeit und Geld gekostet hat.“ Doch sie bekräftigt auch den Willen des Verlagshauses, die Leser der nmz weiterhin monatlich mit Nachrichten, Hintergründen und Berichten aus Musik, Musikwirtschaft und Kulturpolitik zu beliefern.

 

Inzwischen hat die Bundesregierung ein etwa 40 Milliarden schweres Programm fertiggestellt, das auch den vielen Solo-Selbständigen in Kunst, Kultur und Medien helfen soll. Monika Grütters spricht von einem „Rettungsschirm gerade auch für den Kulturbereich“. Auch zahlreiche Bundesländer setzen eigene Soforthilfen auf. Neben staatlicher Hilfe gab und gibt es eine große Welle der Solidarität. Für den Musikbereich sind hier Initiativen der GEMA, der GVL oder der Deutschen Orchester-Stiftung zu nennen. Mit Umfragen versuchen der Deutsche Musikrat, das Musikland Niedersachsen oder auch die Gewerkschaft ver.di Fakten und Bedarfe zu ermitteln.

 

In den Musikschulen, kommunal oder privat, werden in diesen Tagen neue Wege des Musikunterrichts erprobt. So melden sich etwa Dozentinnen und Dozenten per Mail, Skype und WhatsApp bei ihren Schülern, um sie beim Üben zu Hause zu unterstützen, neue Hausaufgaben zu geben und ihre Fragen zu beantworten. „Lasst uns weiter zusammen Musik machen“, heißt hier die Devise. Zusammen mit Vereinen, Tanzschulen, Fitnessstudios machen einzelne Schulen Aufklärungsarbeit, um mögliche Kündigungen zu vermeiden.

 

Es stellt sich auch die Frage, was die Pandemie mit der Kunst macht, konkret mit der Musik. Wird der Konzertbetrieb wieder aufs heutige Level „hochfahren“? Welche Konzertveranstalter, Ensembles und Häuser sind womöglich Opfer der Krise geworden?

 

Und was ist mit dem Publikum? Etliche Bemühungen um neue Konzertvermittlungsformate wie Livestreams und Podcasts oder audiovisuelle Tonträger machen es offensichtlich: Das Konzerterlebnis ist durch ein virtuelles nicht zu ersetzen. Ohne Zuhörer ist die Musik nichts.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.

Andreas Kolb
Andreas Kolb ist Chefredakteur der neuen musikzeitung und Redakteur von Politik & Kultur.
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