Boris Kochan - 30. Juni 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

„Das Potenzial von Kreativen muss zum Hochfahren der Wirtschaft genutzt werden“


3 Fragen an Boris Kochan

In der Ausgabe 4/20 sprach Boris Kochan, Inhaber einer Marken- und Designagentur und Präsident des Deutschen Designtages, bereits mit Politik & Kultur über die aktuelle Situation der Designbranche. Drei Monate später gibt es nun das Update.

 

Wie ist die aktuelle Lage des Designbereichs in Deutschland? Was hat sich verändert?
Vielleicht sei mir hierzu erst einmal der andere Blick erlaubt, ein kleines Um-die-Ecke-Denken. Denn: Gibt es spannendere Zeiten als jetzt? Die Pandemie und die massiven Folgen des Shutdowns sind die wohl größte weltweite gesellschaftliche Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Nicht nur für die Politik und die Wirtschaft ganz allgemein – sondern auch für die grundsätzliche Ausrichtung von Unternehmen und Organisationen, von Institutionen und Behörden. Für Produkt- und Dienstleistungsentwicklung genauso wie für die Kommunikation – Vermittlungs- und Übersetzungsfähigkeit wird dringend gesucht! Die Sehnsucht nach Qualitätsmedien ist deutlich gestiegen, nach jenen, die mit Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit ihren tatsächlichen Wissensstand vermitteln – und genauso authentisch sagen, was sie nicht wissen. Design ist da mittendrin, als Methode, um rasch zu ganzheitlichen Erkenntnissen zu kommen, als Werkzeug, um z. B. ganz praktische Lösungen für marken- und pandemie-gerechte neue Wegeleitsysteme zu entwickeln. Die funktionieren, nicht lästig sind und auch noch gut aussehen. Oder dabei zu helfen, wie Platz geschafft wird und trotzdem ein Gefühl von Nähe und Gemeinschaft möglich bleibt. Super gerne würde ich jetzt also sagen: Uns im Design geht es prima, wir werden gebraucht, mehr denn je.

 

Leider nur mussten die Auftraggeber, um überhaupt zu überleben, ihre Kosten massiv kürzen, sodass die Designbranche als eine der ersten von den Einsparungen betroffen war und sich diese Krise nun ganz systematisch ins Gebälk der Designunternehmen und die Rücklagen der Freiberufler frisst … jeden Monat werden diese, so es sie denn gab, geringer. Im Ergebnis werden wir auch in der Designwirtschaft damit rechnen müssen, dass von den 360.000 Designerinnen und Designern viele arbeitslos werden oder als Soloselbständige den vereinfachten Zugang zu ALG II nutzen müssen. Dabei ist abzusehen, dass dies alles nicht von vorübergehender Natur ist, sondern ein bis weit ins nächste Jahr hineingehender Zustand bleibt – wenn das denn reicht.

 

Wie beurteilen Sie als Präsident des Deutschen Designtags das Kultur-Konjunkturpaket der Bundesregierung? Werden Designerinnen und Designer damit ausreichend unterstützt?
Mich beeindruckt die Geschwindigkeit und die Massivität, mit der diese Regierung versucht, sich den Folgen der Wirtschaftskrise entgegenzustellen. Dass es mit „NEUSTART KULTUR“ im Rahmen eines Förderprogramms der Bundesregierung erstmals ein spezifisches, ganz eigenes Programm für die Kultur- und Kreativwirtschaft gibt und damit die Forderung des Designtags und der anderen Sektionen im Deutschen Kulturrat nach einem Infrastrukturfonds erfüllt wurde, ist absolut zu begrüßen. Für den Designbereich ist bisher nicht abschätzbar, inwieweit die gerade bei Der Beauftragten für Kultur und Medien in Ausarbeitung befindlichen Förderrichtlinien tatsächlich hilfreich für die Unternehmen und Menschen in unserer Branche sind. Wir hoffen sehr, dass die privatwirtschaftlichen Strukturen des Designs hier eher positiv gesehen werden, weil Investitionen in unsere Branche ganz häufig weitere Investitionen und eine Wiedererholung des privaten Konsums nach sich ziehen. Design sitzt gerne zwischen allen Stühlen, fühlt sich in der damit verbundenen Variabilität und Multikonnektivität wohl – steht damit aber immer auch in der Gefahr, zwischen den Stühlen und Rastern hindurchzufallen.

 

Was fehlt noch? Was fordert der Deutsche Designtag jetzt?
In normalen Jahren erwirtschaftet die Designwirtschaft rund 20 Milliarden Euro.

 

Schon der im Auftrag von Der Beauftragten für Kultur und Medien und Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vom Prognos-Institut entwickelte Bericht zur „Betroffenheit der Kultur- und Kreativwirtschaft“ spricht von Einbußen zwischen 22 bis 38 Prozent im Designmarkt. Der Mittelwert entspräche bereits einem Ausfall von sechs Milliarden. Die gerade in Auswertung befindliche Umfrage des Designtags bei den kleinen und mittleren Unternehmen, den KMU, der Branche ergibt ein noch dramatisches Bild, die Ausfälle liegen zwischen 30 und 80 Prozent der Honorarumsätze.

 

Wir brauchen deswegen langfristige, nachhaltige, zuverlässige und unbürokratisch zu erhaltende Unterstützungen für die Soloselbständigen … auf welchem Weg auch immer. Die Soforthilfen waren für Teile der Freiberufler und Kleinstunternehmen eine gute Idee. Der vereinfachte Zugang zu ALG II, wenn er denn wirklich so wäre, wie sich das der Staatssekretär Wolfgang Schmidt vom Finanzministerium zum Auftakt des „Kulturpolitischen Salons“, dem neuen Diskussionsforum vom Deutschen Bühnenverein, Deutschen Kulturrat, Deutschem Theater Berlin und Deutschlandfunk Kultur, vorgestellt hatte, auch.

 

Darüber hinaus schlagen unter anderem wir ein Förderprogramm vor, um das Potenzial von Kreativen wie Designern und Architekten zum Hochfahren der Wirtschaft zu nutzen und so die KMU ganz allgemein wie die Designwirtschaft zugleich zu unterstützen. Sozusagen eine Art Design-Prämie analog zur E-Prämie für die Neuanschaffung von Elektroautos: Designing Future für KMU – ein Zuschuss zur Etablierung von Design als Instrument für Produkt- und Serviceinnovationen in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung sowie zur Markenprofilierung und Unternehmenstransformation. Solche Angebote gibt es schon lange für KMU zur Nutzung von Unternehmensberatungen für betriebswirtschaftliche Fragestellungen. Im Bundesland Berlin gab es bereits erfolgreiche Programme des Wirtschaftssenats, mit denen die Designkompetenz von KMU gleichermaßen gefördert wurde wie die Kreativwirtschaft.

 

Um es noch einmal kurz zu sagen: Förderprogramme für die Designbranche lassen sich ganz leicht so gestalten, dass sich der Effekt für die Gesamtwirtschaft verdoppelt und verdreifacht!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.


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