Bitte bloß nicht zurück zur Normalität

Über ethisch vertretbare Zukunftsvisionen

Jedediah Purdy, amerikanischer Jurist und Autor, beschreibt in seinem aktuellen Buch „Die Welt und wir“, wie eine am Gemeinwohl orientierte Politik sich fragen muss, was sie unter Wohlstand versteht und woran sie den Wert des Lebens bemessen will. Obwohl es in diesem Buch um amerikanische Landschaften geht, lassen sich vor allem die geschichts- und gesellschaftstheoretischen Überlegungen zu einem lebenswerten Planeten auf den Rest der Welt übertragen.

 

Weltweit gibt es eine immer größer werdende Bereitschaft, sich dem Problem des Klimawandels und den Herausforderungen sozialer Art zu stellen. Unsere zukünftigen Lebensstile sind nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, sondern mehr denn je fordert die Öffentlichkeit Problemlösungen durch politisch-institutionelle Akteure.

 

Design ist Impulsgeber

 

Es ist uns abhandengekommen – das gemeinsame Denken und Agieren von Designern, Ingenieuren, Stadtplanern und Wissenschaftlern über die Welt von morgen. Einerseits entstehen unter ethisch-kulturellen Aspekten Visionen, wie der Verband Deutscher Industrie Designer e.V. (VDID) in seinem ethischen Manifest der Industriedesigner proklamiert, andererseits schaffen Unternehmen neue technische Realitäten.

 

Designern kommen als Impulsgebern und Kommunikatoren in Zusammenarbeit mit Unternehmen und Wissenschaftlern die Aufgabe des Hinterfragens und Aufzeigens zu, um ethisch vertretbare Zukunftsvisionen zu gestalten und gegenüber der Politik sichtbar zu machen.

 

Design ist Wirtschaft

 

Für das durch die Coronakrise geprägte Jahr 2020 gehen laut Monitoringbericht der Kultur- und Kreativwirtschaft die Umsatzprognosen in der Designwirtschaft von einem Minus von bis zu 38 Prozent aus. Eine Blitzumfrage unter VDID-Mitgliedern ergab, dass Aufträge entweder auf unbestimmte Zeit verschoben oder ganz gestrichen wurden. Auch eingeschränkte Akquisemöglichkeiten lassen viele Designer am Fortbestand ihrer Unternehmen zweifeln. Aber für unsere Zukunft sind motivierte und leistungsfähige kreative Menschen wichtig. Die Lage ist mehr als prekär!

 

Design ist Politik

 

Designer entwerfen nicht nur Gegenstände, sondern initiieren und begleiten gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformationsprozesse. Welcher Wandel ist notwendig? Wie kann ein zukünftiges Gesellschaftsmodell aussehen, denn unser heutiges ist nicht zukunftsfähig. Durch neue Formen der Wissensproduktion und gesellschaftlicher Teilhabe können Kultur, Bildung, Wissenschaftler, Unternehmen und Zivilgesellschaft der Politik Prototypen liefern, auf deren Basis neue Lösungsansätze entwickelt werden können. Design schafft durch mutige Entwürfe der Zukunft neue Realitäten in unserer Welt.

 

Politik ist Design

 

Wir benötigen Visionen. Wir benötigen neue Denkstrukturen, die nicht nur die Technologie, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellen, denn die Erde wird von uns allen genutzt. Wir brauchen den Willen der Politik, Zukunft zu gestalten und nicht darauf zu setzen, dass alles so wie vor Corona wird! Die Zukunft des Designs ist die Zukunft der Gesellschaft.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.

Stefan Eckstein
Stefan Eckstein ist Präsident des Verbandes Deutscher Industrie Designer.
Vorheriger ArtikelNutzen-Risiko-Abwägung
Nächster ArtikelSich neu und anders erfinden