Kulturelle Bildung in der Schule

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 07.01.2009. Kulturelle Bildung in den Künsten und durch sie ist integraler Bestandteil der allgemeinen Bildung von Anfang an. Sie ermöglicht und befördert Selbstbildungsprozesse wie Wahrnehmung, Verhalten, Werthaltungen, Identität sowie Lebensgestaltung. Sie erweitert eine Vielzahl individueller und sozialer Kompetenzen und stärkt gesellschaftspolitische Verantwortungsfähigkeit. Kulturelle Bildung sensibilisiert für unterschiedliche kulturelle Bedeutungssysteme und stärkt kreativ-künstlerische Entwicklungsprozesse. Kulturelle Bildung macht mit dem kulturellen Erbe, den zeitgenössischen Ausdrucksweisen und den Kulturen anderer Länder vertraut. Demnach ist interkulturelle Bildung Teil der kulturellen Bildung. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft sowie für eine gelingende Teilhabe an den Formen und Inhalten von Kunst und Kultur.

 

Besonderer Platz der kulturellen Bildung in der Schule
Einen besonderen Platz hat die kulturelle Bildung in der Schule. Hier ist sie Bildung in den Künsten, aber auch Bildung zur Orientierung in der Welt durch die Künste. Daraus folgt, dass in einer fächerbasierten Schule alle grundlegenden künstlerischen Disziplinen angeboten werden müssen. Im engeren Sinne ist kulturelle Bildung vor allem Gegenstand und Gestaltungselement der Fächer der ästhetischen Bildung, also Kunst, Musik und Theater (Darstellendes Spiel), im Fach Deutsch und anderen Fächern mit künstlerisch und kulturell bildenden Anteilen. Tanz und der künstlerische Umgang mit Medien sind ebenfalls Bestandteil der kulturellen Bildung in Projekten und unterschiedlichen Schulfächern. Auch Arbeitsgemeinschaften und Schulveranstaltungen im Bereich der kulturellen Bildung sind von besonderer Bedeutung. Beispiele hierfür sind: Chöre, Theater-AGs, Tanzgruppen, Orchester, Musik-Ensembles unterschiedlicher Stilrichtungen, bildkünstlerische Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsgruppen zum Themenbereich Umweltgestaltung/ Nachhaltigkeit/ Lebensqualität, Arbeitsgemeinschaften zu neuen Medien sowie Schülermedien. Sie alle haben positiven Einfluss auf die Schulkultur. Auch die Auseinandersetzung mit baukulturellen Themen sollte fester Bestandteil der schulischen Curricula sein, um Schülern möglichst früh ein Gespür und die notwendige Wertschätzung für die gebaute Umwelt zu vermitteln. Gleichermaßen sollten Comic, Film und Games bester Bestandteil der schulischen Curricula werden.

 

Veränderung der Lernkultur durch kulturelle Bildung
Die Arbeitsprozesse in künstlerischen Projekten können auch andere Fächer, wie beispielsweise die naturwissenschaftlichen, inspirieren und damit die Lernkultur der Schule positiv verändern. Interdisziplinäres Lernen wirkt sich positiv auf die Schulkultur aus, denn dadurch werden Interessen und Sparten miteinander in Verbindung gesetzt und in einen neuen kreativen Kontext gestellt. Alle Erkenntnisse der pädagogischen und neurophysiologischen Forschung zeigen, dass Kinder ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen brauchen. Kulturelle Bildung verbindet kognitive, emotionale und gestalterische Handlungsprozesse. Künstlerisch-kulturelle Bildung ist in besonderer Weise in der Lage, ganzheitliches Lernen mit Kopf, Herz und Hand zu ermöglichen.

 

Kulturelle Bildung leistet ihren spezifischen Beitrag zur schulischen Bildung, wenn und weil sie Kinder und Jugendliche emotional und kognitiv anspricht, wenn und weil sich in ihr aktives und gestaltendes Handeln mit Gefühlserfahrungen und Reflektion verbindet. Gerade in den ästhetischen Fächern gibt es besonders gute Möglichkeiten, künstlerische Prozesse zu erleben und die produktive Arbeit an einem individuellen oder kollektiven Werk mit kognitivem Lernen und Reflektion im Projektunterricht zu verbinden. Punktuelle Projekte, wie sie zurzeit an vielen Stellen durchgeführt und gefördert werden, können dies allein nicht leisten. Künstlerischer Projektunterricht muss kontinuierlich und nachhaltig angeboten werden.

 

Schule als Lebensraum
Schule ist mehr als nur ein Ort des Wissenserwerbs, Schule ist ein Lebensraum. Dieser Aspekt gewinnt durch die Einführung der Ganztagschule an Bedeutung und sollte in Hinblick auf eine kulturelle Schulentwicklung stärker berücksichtigt werden. Wenn die Schule als Lebensraum ernst genommen werden will, dann bedeutet dies, dass ein positives Lernklima, lernfreundliche Ausstattung und Gestaltung des Schulgebäudes und -geländes, Partizipation von Schülern, Lehrern und Eltern sowie Kooperationen mit außerschulischen Partnern geschaffen werden müssen. Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Schule und außerschulischen Einrichtungen wirkt sich bereichernd aus. Kooperationen eröffnen neue Lebenswelten, sensibilisieren für zivilgesellschaftliches Engagement, zeigen Synergien auf und ermöglichen den Schülerinnen und Schülern soziale Einbindung beispielsweise in Einrichtungen in den jeweiligen Stadtteilen.

 

Kooperationen mit Kultureinrichtungen stärken
Die künstlerischen Fächer in der Schule bieten für den Regelunterricht, die Arbeitsgemeinschaften sowie insbesondere für die Ganztagsschulen eine gute Grundlage für langfristige Kooperationsprojekte. Zu nennen sind besonders Einrichtungen der außerschulischen kulturellen Kinder- und Jugendbildung wie Musik- und Jugendkunstschulen und theaterpädagogische Zentren sowie die Zusammenarbeit mit einzelnen Künstlern und Kultureinrichtungen wie Konzert- und Opernhäusern, Theatern, Museen und Bibliotheken. Ebenso bestehen bereits Kooperationen mit Onlineanbietern. Eine Reihe von Studien und Modellprojekten haben bereits die Partnerschaften zwischen Schule und außerschulischen Akteuren der kulturellen Bildung evaluiert und herausgestellt, dass diese Kooperationen große Potentiale für die Lernkultur besitzen und die Vermittlung kultureller Bildung positiv beeinflussen. Für eine gelingende Kooperation bedarf es aber auch bestimmter Voraussetzungen, wie der Bereitstellung von personellen wie finanziellen Ressourcen, Räumlichkeiten sowie die Verständigung über gemeinsame Bildungsaufgaben.

 

Unzureichende Nutzung der Potenziale von kultureller Bildung in der Schule
Zur kulturellen Bildung in der Schule liegen bereits eine Reihe von Stellungnahmen vor. Zu nennen sind insbesondere das Papier der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Kultusministerkonferenz), die „UNESCO-Road Map zur Kulturellen Bildung“, eine Stellungnahme der Kinderkommission des Deutschen Bundestages sowie der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages. Sie alle unterstreichen den Wert und die Potentiale kultureller Bildung. Auch der Deutsche Kulturrat hat bereits in verschiedenen Stellungnahmen auf die Bedeutung der kulturellen Bildung in der Schule hingewiesen. In der Realität wird das Potenzial des kulturellen Lernens und Arbeitens jedoch noch unzureichend ausgeschöpft und auch nicht allen Kindern und Jugendlichen erschlossen. Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ unterstreicht in ihrem Schlussbericht, dass die allgemeinbildende Schule der Ort ist, an dem aufgrund der gesetzlichen Schulpflicht alle jungen Menschen bis mindestens zum 16. Lebensjahr unabhängig von sozialer Herkunft und Schulart erreicht werden und sie somit die einzige Einrichtung ist, die allen Kindern den ersten, grundlegenden und niedrigschwelligen Zugang zu kultureller Bildung eröffnen kann. Diese Aussage ist in ihrem Anspruch richtig, entspricht aber bislang praktisch nicht der Wirklichkeit unseres Bildungssystems.

 

Die künstlerisch-kulturelle Bildung in der Schule ist seit Jahren in einer gefährdeten und randständigen Position. Ein Großteil des Unterrichts, sofern er noch erteilt wird, wird immer häufiger von fachfremden Lehrkräften unterrichtet, da alle künstlerischen Fächer unter Lehrermangel leiden. Für das Fach Theater kommt hinzu, dass es für dieses Fach nur eine geringe Anzahl an Studienplätzen und Weiterbildungsangeboten gibt. Überdies wird dieses Fach bisher noch nicht in allen Jahrgangsstufen erteilt.

 

Die schulbezogene Bildungspolitik ist – nicht zuletzt durch den PISA-Prozess bedingt – nach wie vor auf die vermeintlich wichtigeren Kernfächer fixiert und setzt auch die Ressourcen dementsprechend einseitig ein. Verschärft wird dieses Problem in den Gymnasien durch das so genannte „G8“. Aufgrund der verkürzten Schulzeit von 13 auf 12 Jahre wird das Lernpensum der Schüler teilweise zu Ungunsten der künstlerischen Fächer gestrafft.

 

Auf alle künstlerischen Fächer trifft zu, dass aufgrund der Studienreform als Folge des Bologna-Prozesses zudem die Breite der Studieninhalte zurückgegangen ist. Kulturelle Bildung bedarf Ganzheitlichkeit, Kontinuität und Nachhaltigkeit. Diese sind nur zu erzielen, wenn den ästhetischen Fächern auch in der schulischen Praxis sowie in der praktischen Bildungs- und Hochschulpolitik die Wertschätzung gegeben wird, die sie aufgrund ihres ganzheitlichen Ansatzes verdienen.

 

Forderungen des Deutschen Kulturrates
Kinder und Jugendliche müssen im Verlauf von Kindergarten und obligatorischer Schulzeit Gelegenheit haben, mit allen Facetten kultureller Bildung vertraut gemacht zu werden. Dies gilt nicht nur für die Vollständigkeit und Breite der fachlichen Angebote, die die Schule allen Schülern unterbreiten sollte, sondern auch für die Regelmäßigkeit, in der die Schüler die Chance erhalten, diese Fächer im Verlauf ihres Bildungsgangs kennenzulernen.

 

Um kulturelle Bildung im Kernbereich der schulischen Allgemeinbildung zu gewährleisten, fordert der Deutsche Kulturrat die Länder auf, hierfür eine Aufstockung der Ressourcen für alle Schulen und Schularten vorzunehmen. Allerdings sieht es der Deutsche Kulturrat als notwenig an, dass die Aufstockung der Finanzmittel für Bildung und Forschung um 10% bereits zeitnah erfolgt und nicht erst – wie beim Bildungsgipfel 2008 vereinbart – im Jahr 2015.

 

Darüber hinaus hat der Deutsche Kulturrat folgende Forderungen:

  • Der Deutsche Kulturrat fordert die Länder auf, die Fächer der kulturellen Bildung wie Kunst, Musik und Theater zu stärken und in allen Bildungsgängen gleichmäßig und verlässlich vorzusehen. Das bedeutet, dass die ästhetischen Fächer in allen Schularten und Klassenstufen verbindlich und vor allem kontinuierlich pro Woche anzubieten sind.
  • Insbesondere für die künstlerischen Fächer bieten sich kontinuierliche und fächerübergreifende Projektarbeiten an. Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Länder auf, verstärkt fächerverbindende Projekte in den Schulalltag zu integrieren und in diesem Zusammenhang über ein kulturaktives Schulprofil nachzudenken, das das Lernen mit Kunst und Kultur befördert.
  • Die Qualität kultureller Bildung hängt in erster Linie von der Qualifikation der Kulturvermittler ab. In der Schule können dies langfristig und nachhaltig nur fachlich ausgebildete Lehrer sein. Der Deutsche Kulturrat fordert daher, dass die Lehreraus- und -weiterbildung in den Fächern Kunst, Musik und Theater sowie die Fortbildung in Tanz und Medienbildung in allen Bundesländern qualifiziert ausgebaut werden muss.
  • Der Deutsche Kulturrat fordert die Länder auf, interkulturelle Bildungsaspekte als integralen Bestandteil der Wissensvermittlung anzuerkennen und in den Lehrplänen zu verankern. Dies bedeutet, dass auch die Lehrerbildung in allen Sparten um den Bereich der interkulturellen Bildung erweitert werden muss.
  • Für eine vielfältige und facettenreiche kulturelle Bildung in der Schule bieten sich Kooperationen mit außerschulischen Akteuren der kulturellen Bildung an. Diese Kooperationen müssen qualifiziert organisiert sein. Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Länder auf, Lehrer, Kulturvermittler und Künstler durch geeignete Fortbildungen zu befähigen, unter den Bedingungen von Schule und zum Wohle der Schüler z.B. im Sinne eines Tandemunterrichts zu kooperieren. Dazu gehört auch eine angemessene Bezahlung der Kulturvermittler und Künstler. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass sich die Schulen durch die Zusammenarbeit mit Dritten verändern.
  • Um Qualität in den künstlerischen Fächern zu gewährleisten, fordert der Deutsche Kulturrat die Kultusministerkonferenz der Länder auf, Bildungsstandards für alle ästhetischen Fächer festzulegen.
  • Der Deutsche Kulturrat fordert, dass beim Abitur mindestens ein Fach der kulturellen Bildung zum verpflichtenden Fächerkanon gehören muss.
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